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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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den Knien glattgescheuert war wie polierter Speckstein. Arbeitsklamotten waren das, eindeutig, da wollte er bestimmt was zeigen damit, da wollte er garantiert ausdrücken, er sei schwer beschäftigt und müsse gleich weiterrackern nach der Zeremonie. Willy erschien das seltsam, denn Heiner Jagielka, Gärtner in Diensten der Stadt, hatte zwar die Blumenrabatten Gerberstedts zu pflegen, aber das waren ja wohl nicht viele. Wenn man’s genau bedachte, waren das jetzt im November gar keine Rabatten, nur lumpige, klumpige Erde war’s.
    Aber dort steht doch …! Hinter dem etwas dubiosen Jagielka meinte Willy plötzlich jemanden entdeckt zu haben, den er niemals hier erwartet hatte. Täuschte er sich auch nicht? Er trat einen Schritt zur Seite, um sich zu vergewissern. Und tatsächlich, vielleicht zehn Meter entfernt ließ Herbert Rabe sein Eulengesicht blicken, rund und schwer, mit Augen, die von großen dunklen Kreisen umschlossen waren, minutenlang konnten diese Augen stillstehen – um dann mit einem Ruck jemanden gnadenlos zu fixieren. Willy stürzte zu Ruth, vergessend, daß sie ganz versunken war in ihrer Trauer: »Rabe ist hier, stell dir vor! Daß er es wagt …!«
    Ruth machte eine langsame, grazile Bewegung, bei deren Anblick jeder, der es nicht sowieso wußte, eine Ahnung davon bekam, wie anmutig sie sein konnte. Sie drehte sich, bis sie Rabe im Blick hatte. Ihr schmaler Körper erbebte und drängte nach vorn. Aber gleich erstarrte sie wieder. Kein mühsames Ansichhalten war das, vielmehr ein sofortiges Verpuffen der Bewegung wie bei einem dilettantisch in Schwung gebrachten Kreisel. Rabe indes nutzte die Sekunde des Blickkontakts, um Willy und Ruth verschwörerisch zuzublinzeln. Nun sogar auf sie zuzugehen. Förmlich verneigte er sich vor ihnen. »Genossin Werchow«, er drehte den Kopf zu Ruth, »Genosse Werchow«, Kopf zu Willy, »ich möchte euch mein tief empfundenes Beileid aussprechen, persönlich, als Betroffener sozusagen, denn mich hat, wie ihr sicher wißt, einiges mit eurem Vater verbunden.«
    Ruth sagte leise, aber doch entschieden: »Ich bin keine Genossin, Herr Rabe.«
    Ein breites Lächeln zauberte Rabe da auf sein Gesicht. Man hätte es herzlich nennen können, wenn seine Augen Ruth nicht so starr ins Visier genommen hätten: »O ja, Verzeihung, ich vergaß das. Aber«, er machte eine kleine Pause, »Sie nehmen mir meinen Fehler doch nicht übel, Frau Werchow?«
    Ruth senkte den Blick.
    Willy nickte Rabe fast beflissen zu, jawohl, das tat er. Ruth sah es nicht direkt, mußte es aber dem verräterischen Schwingen seines Oberkörpers entnehmen, in dem sich das Nicken fortsetzte. Sie schloß die Augen; und eine Sekunde später war Willy selber peinlich berührt. Wie kannst du nur? Wie kannst du dich nur mit Rabe einverstanden erklären? Eine weitere Sekunde darauf beruhigte er sich mit dem Gedanken, das sei schon recht so, denn was nützte es, wenn er hier Krawall schlug, man mußte die Situation berücksichtigen, und die Situation war nun einmal die, daß eine Trauerfeier bevorstand und Ärger zu vermeiden war, im Sinne Rudis, der ein schönes und harmonisches Begräbnis unbedingt verdient hatte.
    Und nun erschien auch die Friedhofsmitarbeiterin, eine dickliche Frau in einem langen glockenförmigen Rock. Die Gäste nahmen langsam ihre Kränze auf und formierten sich wortlos zu einem Zug, vorn Willy und Ruth, dann die Kinder, dann die Felgentreus und die Wehles, dahinter die properen sowie die wackligen Alten, und am Schluß Jagielka und Rabe, dieses ausgesprochen ungleiche Paar; ein gerader, von löchrigen Laublappen bedeckter Weg tat sich vor ihnen auf, schwarze, dampfende Baumgerippe, wie verkohlt und abgelöscht, standen Spalier. Die dickliche Frau schritt so starr und gemessen zwischen denen hindurch, daß unter ihrem Glockenrock keinerlei Bewegung erkennbar war, kein Fußsetzen, wie eine Halmafigur schob sie sich voran, der Kapelle entgegen.
    Willy wandte sich, bevor er die Kapelle betrat, noch einmal um, reckte den Hals und überblickte die vielleicht 30 Gäste und den Weg bin zum Friedhofseingang hin. Aber nichts, sein Bruder Bernhard kam ihnen auch nicht in letzter Minute nachgelaufen.
    *
    Der Trauerredner war ein mittelgroßer, mittelschwerer Mann mit mittelblonden Haaren, dessen Konturen den Anwesenden nicht erst Stunden oder Tage später, in der Erinnerung, verschwammen, sondern jetzt schon, noch während sie ihn ansahen. Einzig ein rubinroter Siegelring, den der Nichtgesichtige am
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