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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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Zucken ging über sein Gesichtchen. Und sie, Marieluise, unterließ es, etwas zu tun. Sie konnte schon darauf warten, daß ein warmer, vom Fluß wehender Wind die Blüte irgendwann vom Kind auf die Decke oder weiter weg pusten würde, und geschah das, dann nickte sie, ihr war, als verfolge sie die vorsichtige, zufriedenstellende Arbeit eines Freundes. Und waren das nicht überhaupt schöne und außergewöhnliche Stunden gewesen? Ruth hatte Geburtstag gehabt und einen kugelrunden Bauch, im Laufe des Tages würden die Wehen einsetzen, hatte sie prophezeit, nach den Geburten der Jungs kenne sie doch schon die Regungen in ihrem Leib, ja, ganz achtsam ließ sie sich neben Catherine auf der Decke nieder. Da erschien Rudi im Garten, mit einem weißen Leinenbeutel, in dem sich die Konturen eines rechteckigen Gegenstandes abzeichneten, seines Geschenkes wahrscheinlich. Nur holte er es nicht heraus. Ein paar Sekunden schaute er sich im Garten um, als sehe er den zum ersten Mal, als habe der bis vor kurzem nicht ihm selber gehört. Rudis Blick huschte über den Gehweg, den er mit unregelmäßig geschnittenen Granitplatten ausgelegt und zu beiden Seiten mit Blumenrabatten gesäumt hatte. Er blinzelte in Richtung der breiten, von ihm gepflanzten Haselstrauchhecke, deren Blätter in der Maisonne silbrig glänzten. Wollte er sehen, ob noch alles in Ordnung war, oder wollte er ein bißchen Spannung erzeugen bei Ruth? Er wischte sich über seine leicht tränenden Augen und wandte sich dem beruhigend dunklen Bassin im Schatten des Hauses zu. Er tunkte seine Hände hinein und befeuchtete mit ihnen seine Augen. Dann nahm er endlich den Gegenstand aus seinem Beutel. Es war eine Geldbörse aus dem Lederwarengeschäft gegenüber seiner kleinen Wohnung, in der er lebte, seitdem er das Haus am Fluß Willy, Ruth und den Jungs überlassen hatte. Ruth öffnete die Börse und fand einen Glückspfennig darin, sie war aufgestanden anläßlich der Geschenkübergabe, und Marieluise sah noch einmal ganz plastisch, wie sie sich erst vorsichtig zu Rudi beugte, um ihm einen Kuß auf die stoppelige Wange zu drücken, und ihn dann doch mit beiden Armen umschlang und ihn mit ihrem Bauch rückwärts ins Stolpern brachte.
    »… und welche Freude«, ein seliges Lächeln umspielte die Lippen des Redners, »war es dann für ihn, daß seine Schwiegertochter drei gesunden Enkeln das Leben schenkte. Ihnen, Erik, Matti und Britta, brachte er seine besondere Zuneigung und Fürsorge entgegen. Besonders für Sie fand er immer Zeit. Wie gern nahm er Sie zum Beispiel mit auf seine Wanderungen. Damals mag es Ihnen, liebe Enkel, nicht immer Freude bereitet haben, von Ihrem Großvater in aller Herrgottsfrühe aus den Federn gescheucht zu werden, ja, man berichtet, Sie hätten nicht selten hinter seinem Rücken geflucht. Aber heute«, er blickte zu ihnen, »und ich darf Ihr Schmunzeln als Bestätigung nehmen, heute schon denken Sie bestimmt mit Wärme und Dankbarkeit an diese Momente zurück. Und wie viel mehr haben Sie ihm noch zu verdanken. Wie viel mehr hat er Ihnen beigebracht. Wir alle blicken zurück und sehen ihn, wie er Erik, Matti und Britta die verschiedenen Apfelsorten in seinem Garten erklärt. Wie er mit ihnen Blumenzwiebeln in den Boden einbringt. Wie er, der Unermüdliche, mit ihnen einen Zaun setzt. Oder auch, wie er mit ihnen hinunter zum Fluß geht und dort …«
    … einen Staudamm baut, setzte Matti in Gedanken fort, erst Pfähle, senkrecht und dicht bei dicht wie Milchflaschen im Konsumregal, da darf nichts durchpfeifen, Kinder, da darf nichts zwischenpassen, dann an jeder Seite ineinandergebogenes Reisigzeug vorlegen, mit Draht, mit dem hier, so, so wird das gemacht, befestigen, und schon, da seht ihr, fängt unser Wasser an, sich zu stauen und sich einen Weg aus seinem Bett herauszusuchen, ganz Gerberstedt würde nasse Füße kriegen, wenn wir das jetzt so lassen würden, wollen wir’s so lassen? Wollen wir Gerberstedt mal richtig überschwemmen? Ja! ja! ja! schrien sie, und für ein paar Minuten schien es ihnen, als wolle ihr Großvater tatsächlich das Städtchen fluten. Immer weiter schwappte die Schorba auf die Wiesen, Silbergrau legte sich über Grün, mit dem Wasser nach oben getriebene Schlammklümpchen rochen wie rostiges Metall, und Rudi, Rudi schnüffelte und schaute diebisch vergnügt. Seine Enkel indes begannen langsam, sich zu wundern. Zunehmend stiller betrachteten sie einmal den Fluß, einmal den Großvater, das Wasser stieg, er
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