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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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Felgentreu tastete nach ihrem Besteck, ihr Enkel Jonas tastete sich an Britta heran.
    Die Kellnerin brachte die Suppen, begann jedoch unhöflicherweise nicht bei den Frauen, sondern bei Willy, Erik und Matti. Außerdem knallte sie ihnen die Terrinen so hin, daß Flüssigkeit auf die Untertassen schwappte. Und es war ja auch ausschließlich Eierflockensuppe. Willy aber hatte mit dem Chef der »Sonne« ausgemacht, bei jedem Gang wählen zu können: Eierflockensuppe oder Soljanka, Schweinebraten mit Thüringer Klößen oder Schnitzel mit Kartoffeln, Birnen- oder Kirschkompott.
    Die Kellnerin, von Willy an die Absprache erinnert, bestimmte: »Erst kommen die Flocken, dann kommt Soljanka.«
    »Aber Sie müssen sich doch vorher erkundigen, wer was will«, erwiderte Willy, »Sie können das doch nicht einfach hinstellen, wo es Ihnen paßt.«
    »Sie werden es schon untereinander verteilen. Das haben bisher alle geschafft.«
    »Sie haben uns zu fragen!«
    »Ich habe gar nichts. Ich bin nicht Ihre Sklavin.«
    »Sie, Frollein, würde ich auch gar nicht nehmen als Sklavin.«
    »Und Sie beleidigen mich nicht!«
    Und weg war sie. Fünf Minuten ließ sie sich nicht blicken … sieben … zehn. Schweigend sah man auf die drei erkaltenden Eierflockensuppen, unruhig verfolgte man, wie der letzte matte Dampf aus den Tassen stieg.
    Plötzlich hieb Willy mit der Faust auf den Tisch, ja wenn er schon nichts gegen die Anwesenheit zweier unangenehmer Menschen an diesem Tisch hier unternehmen konnte, so war er doch wohl imstande, für Essen zu sorgen, er riß den Mund so weit auf, daß seine bedauernswert verkeilten Zähne nach langer Zeit wieder einmal vom Licht der Welt beschienen wurden, rief, »jetzt habe ich die Schnauze aber voll«, und stürmte in Richtung Theke.
    Drei Minuten später war er zurück, und eine weitere Minute später erschien die Kellnerin mit einem Tablett, darauf Eierflockensuppe und Soljanka, und fragte mit devoter Verbeugung, schräg gehaltenem Kopf, vorgestelltem Bein und breitgezogenem Lächeln, kurz, mit einer so übertriebenen Liebenswürdigkeit, daß alle das schon wieder als Frechheit verstehen mußten: »Dürfte ich wohl bitte erfahren, wer von den Herrschaften unsere Eierflockensuppe wünscht und wer unsere Soljanka?«
    *
    Sie waren jetzt beim Hauptgericht. Und es schmeckte, schmeckte sogar vorzüglich. Das charakteristisch Thüringische drückte sich aus in der würzigen, den Gaumen buchstäblich kitzelnden Kruste des Bratens; in der riffligen Glasigkeit der Klöße; in den fettgetränkten und gleichwohl rauchigen Bröseln; in dem bißfesten, zwischen den Zähnen zu Creme zerlaufenden Rotkohl; und schließlich in der wohligen Schwere einer Soße, die ihre Grundsubstanz, ordinäres 405er Mehl, perfekt zu verbergen wußte.
    Unholde, Banausen wären sie gewesen, wenn sie während so eines Essens, und des unvermeidlich damit verbundenen Trinkens, nicht in erste Gespräche hineingefunden hätten. Zunächst flogen nur vereinzelte, wie verschämte Worte hin und her, dann wurden es mehr, und das Besteck klapperte auch lauter, Gläser klirrten aneinander, alles schien in einer großen Erleichterung zu münden. Es war sogar, als griffe die zunehmende Lockerheit der Runde auf die Kellnerin über. Sie, die eben noch Knarzige, erkannte wohl, daß sie hier nicht mehr die Hauptrolle spielte, und bediente nun endlich so, wie es angeraten war, unauffällig und aufmerksam, nicht zu hastig, nicht zu langsam.
    Wer aber traute sich das erste Lachen? Jonas Felgentreu. Vielleicht, weil er schon mehrere Gläser Rotwein geleert hatte, vielleicht aber auch, weil er, als einziger hier, sich in seiner schwarzen Kleidung nicht fremd fühlte. Im Gegenteil, sie war ihm schon wie eine zweite Haut. Er hatte am Morgen, ohne überlegen zu müssen, genau die Sachen angezogen, die er ja immer anzog, Existentialistenklamotten, speckig und knittrig, stoffliche, von ihm mit lässigem Stolz getragene Ausweise seiner Mitgliedschaft im zwar nicht geheimen, aber nun wahrlich auch nicht offiziell geweihten und befürworteten Gerberstedter Dichterkreis »Hurenkinder«. Gerade begann er, diesen Namen seiner Nachbarin Britta zu erklären.
    »Hurenkinder, da denkst du garantiert an das eine, stimmt’s?«
    »Was ist denn das eine?«
    Jonas war verblüfft. Er hatte gedacht, sie würde die Augen niederschlagen oder was Unverständliches murmeln. Aber sie lächelte ihn ganz selbstbewußt an.
    Weil er nicht gleich antwortete, fragte Britta, sich zu ihm
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