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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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beugend, so daß ihr eine blonde Haarsträhne vor die linke Wange fiel und auch vor ihre linkes Auge: »Na sag mal, woran soll ich denn denken?«
    Sie hatte gerade ihren vierzehnten Geburtstag gehabt, wußte Jonas, aber mehr wußte er jetzt nicht. Entweder es steckte in ihr ein Luder, oder sie war das natürlichste Mädchen von der Welt. »An Nutten und ihre dreckigen Bälger«, sagte er, und schob vorsichtshalber ein »ist doch klar« hinterher.
    Britta vollführte eine ruckartige Kopfbewegung, so daß ihre Haare für einen Augenblick in der Luft standen und ihr helles Gesicht ganz bloß lag. Aber sie sagte nichts, sie lachte nun sogar, da war er sich sicher, daß sie nur ein Luder sein konnte, gerade vierzehn geworden, diese Britta, und kokettierte schon dermaßen herum. »Warum lachst du?« fragte er genervt.
    Da platzte es aus ihr heraus: »Ich lache, weil du denkst, ich hätte keine Ahnung, warum ihr euch so genannt habt.«
    »Und du hast aber Ahnung?« Auf Jonas’ Stirn, an deren Seiten er sich die Haare wegrasiert hatte, so daß er ein wenig aussah wie der junge Brecht, traten ein paar Schweißperlen.
    »Du hast eines vergessen: Mein Vater arbeitet im ›Aufbruch‹. Der hat Drucker gelernt, der schmeißt zu Hause nur so mit Fachausdrücken um sich. Als seine Tochter weißt du automatisch, ein Hurenkind ist die letzte Zeile eines Absatzes, die auf einer neuen Seite oder einer neuen Spalte steht.«
    »Was nicht sein darf«, nickte Jonas.
    »Und darum habt ihr euch so genannt? Weil ihr so sein wollt, wie man nicht sein darf?«
    Er nickte wieder. »Fünf unserer sieben Gründungsmitglieder sind wie du Kinder von Eltern aus der Druckerei. Ist ja logisch, ist ja fast Monokultur hier, gibt doch nichts außer bedrucktem Papier und noch ein bißchen Leder. Jedenfalls, einer von denen ist draufgekommen: Hurenkinder, Leute, das ist’s, wir nerven die anderen, weil wir den schönen Eindruck verderben, weil wir alles vermasseln, was irgendwer mal festgelegt hat, aber wir sind trotzdem da, wir tauchen plötzlich auf, lassen uns immer wieder blicken wie aus dem Nichts …«
    Jonas schaute in Brittas Gesicht, das Neugierde ausstrahlte, er sprach immer schneller, geriet in einen Rederausch, hatte gar keine Angst, zuviel zu verraten, nicht nur, weil ihr Vater der beste Freund seines Vaters war, sondern auch, weil etwas ihm sagte, diese Britta würde nichts tun, was anderen schadete, nein, sie war kein Luder, sie war doch vollkommen ursprünglich, wie hatte er bloß daran zweifeln können. »Alles viel zu glatt«, rief er, »alles geschönt, alles nur Parolen, aber wir durchbrechen das, Name ist Programm.« Britta wiederum, Britta war hingerissen von dieser Begeisterung, eigentlich egal, was Jonas ihr so alles im einzelnen erklärte, sein Enthusiasmus zog sie an, das Einnehmendste, was jemand haben kann.
    Matti beobachtete die beiden. Wie er Jonas bewunderte für seine Forschheit. Gleichwohl fand er, seine Schwester sei das falsche Ziel. Sie war doch viel zu jung, ein Kind noch, wußte Jonas das nicht? Mißbilligend starrte er seinen Kumpel an. Doch Jonas bemerkte ihn nicht, so wie er erst recht nicht Heiner Jagielka bemerkte, der schon den dritten oder vierten »Goldkrone«-Schnaps trank und dabei Marieluise in ein Gespräch zu verwickeln versuchte – was diese abwehrte, indem sie ihm mit einem stummen Ausfahren ihres Zeigefingers deutlich machte, sie wünsche jetzt lieber, jemand anderem zuzuhören, Clara Felgentreu direkt ihr gegenüber.
    Der Blinden wurde von Achim gerade das Fleisch zerkleinert, und währenddessen ganz tatenlos dazuhocken, das war ihr wohl zu dumm, so erzählte sie »Luischen«, was ihr Mann Franz noch erledigt hatte, bevor er gestorben war. »Bevor er dahinging«, wie sie es ausdrückte. »Er hat dem Achim, auch wenn es ihm schon schwerfiel, alles über die Geschichte der Felgentreuschen Gerberei erzählt, was er wußte, und ihm Teil für Teil die alten Urkunden und Geschäftsberichte, man kann ruhig sagen: überreicht. Das ging drei Abende. Er hat ja schon nicht mehr so lange durchgehalten, nicht wahr, immer nur ein, zwei Stunden. Und stell dir vor, Luischen, da waren Papiere, die sind fast ein Jahrhundert von niemandem berührt worden, die sind in dem Moment zerbröselt, als er sie in die Hand genommen hat, ich hab es hören können, es hat so … so gefitzelt. Nicht wahr, Achim?« Sie wandte schwerfällig den Kopf zu ihrem Sohn.
    »Ja«, bestätigte Achim, wobei er, vielleicht sich erinnernd, daß
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