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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Autoren: Jakob Arjouni
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dem Loire-Schlösschen gar nichts floss? Aber wer bezahlte die Haushälterin, die Luxusmöbel, das funkelnde Rennrad im Eingangsflur?
    »Und da versuchten Sie mit Abakay ein bisschen vom vermissten Leben in die Bude zu bringen? »
    »Er war nicht der Erste. Immer wenn ich jemanden treffe, von dem ich glaube, er könnte Edgar interessieren, bringe ich ihn mit nach Hause. Verstehen Sie? Ich würde mir so sehr wünschen, dass Edgar Frankfurt ein bisschen Spaß macht. Und ich dachte: Abakay, das ist auf jeden Fall nicht Würstchen und Aktien. Ich habe ihn also zum Abendessen eingeladen, und es ging gründlich schief. Edgar fand, er sei ein aufgeblasener Schwätzer, und Marieke hat sich bei einer sinnlosen Diskussion über die Freiheit der Kunst auf Abakays Seite geschlagen. Natürlich nur, um uns eins auszuwischen…«
    Plötzlich schien ihr etwas Unangenehmes einzufallen. Oder besser: etwas im Moment Unpassendes, etwas, das mit mir zu tun hatte. Einen Augenblick schaute sie mich an, als sei ihr gerade aufgegangen, dass ich genauso aussah wie irgendein Schweinehund aus ihrer Vergangenheit: ein aus dem Mund stinkender Lehrer, der sie beim Nachhilfeunterricht betatscht, oder ein Exfreund, der sich mit ihrem Schmuck davongemacht hatte, etwas in der Richtung.
    Sie senkte den Blick und begann, ihre Hände zu massieren. »Jetzt wissen Sie, was ich meinte, als ich sagte, dass ich vor allem an meinen Mann gedacht habe.«
    »Hmm. Eine Diskussion über die Freiheit der Kunst? Um was ging’s da?«
    Sie zögerte, schaute kurz hoch, dann wieder auf ihre Hände. Sie massierte ruhig und gleichmäßig. Überhaupt war sie gut darin, Ruhe und Gleichmäßigkeit vorzuführen, manchmal auch Wut und Verachtung, nur hin und wieder verrutschte die Maske, und dahinter, so kam es mir vor, zitterte Valerie de Chavannes vor Angst.
    »Um diese blöden Karikaturen.«
    Ich ahnte, was sie meinte. »Keinen Schimmer, wovon Sie reden.«
    »Na, von den Mohammed-Karikaturen. Das Theater damals – wie lange ist das jetzt her, drei oder vier Jahre? – haben Sie ja wohl mitgekriegt?«
    Diesmal blieb ihr Blick auf mich gerichtet, und ihre Miene schwankte zwischen Sorge und Missmut: Trat sie einem Kerl namens Kemal Kayankaya mit dem Thema auf den Schlips, oder war der Privatdetektiv, der ihr im Laufe des Gesprächs schließlich einen einigermaßen zivilisierten Eindruck gemacht hatte, am Ende doch nur eine bildungsferne Nulpe?
    »Verstehe. Ja, habe ich mitgekriegt. Welche Position vertrat Abakay?«
    »Nun… Es ging ihm wohl weniger um sich – Abakay ist bestimmt kein besonders Gottgläubiger –, sondern ganz allgemein um Respekt gegenüber Religionen. Irgendein Verwandter, ich glaube sein Onkel, ist Geistlicher in einer Frankfurter Moschee.«
    »Ist Marieke anfällig für solches Zeug?« Ich sah auf den Glastisch zu den Fotos mit dem streng blickenden Mädchen.
    »Sie meinen Religionen?«
    Ich nickte. »Vielleicht ist sie gar nicht mit Abakay weg, sondern mit dem lieben Gott?«
    »Nein, nein, sie…« Valerie de Chavannes schüttelte den Kopf, sah verzweifelt zur Zimmerdecke, wo ihr Blick kurz verharrte, als erschienen ihr dort die Bilder des verpatzten Abends. »Es war nur wegen uns oder vielleicht auch nur wegen meinem Mann. Sehen Sie, wir sind aufgeklärte, moderne Menschen, Religion hat bei uns und für Marieke nie eine Rolle gespielt. An dem Abend hat sie einfach gespürt, dass sie ihren Vater zur Weißglut bringen konnte. Edgar ist, wenn’s auf das Thema kommt, lautstarker Atheist, er hasst jede Form von Religion. Und da fängt seine Tochter plötzlich an, den Schleier als Kulturerbe, orientalisches Modeaccessoire, Möglichkeit der Frau, sich vor den Blicken der Männer zu schützen, und was nicht noch alles zu verteidigen. Sogar Abakay hat ihr widersprochen, sich vielleicht insgeheim eins gegrinst, ich weiß es nicht. Wie gesagt, es war einfach nur sinnlos. Edgar liebt Marieke über alles, und zurzeit versucht sie, sich von dieser Liebe zu befreien.« Valerie de Chavannes machte eine Pause, und es war offensichtlich, dass sie überlegte, ob sie mir etwas anvertrauen sollte. »Sie haben vorhin bemerkt, dass ich es mit den Namen der Freunde meiner Tochter wohl nicht so hätte. Im Vergleich zu Edgar haben Sie fraglos recht: Er kann Ihnen wahrscheinlich jeden Freund Mariekes seit der Grundschule mit Vor- und Nachnamen aufzählen. Haben Sie Kinder?«
    Die Frage kam überraschend, und ich dachte an Deborah, wie sie zwei Tage zuvor beim »Aperitif« (die
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