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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Autoren: Jakob Arjouni
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mir erzählen.« Ich grinste fröhlich. »Spucken Sie’s einfach aus. Oder möchten Sie es sich lieber noch mal überlegen, ob Sie mich engagieren wollen?«
    »Ich möchte…« Sie zögerte, und einen Augenblick sah es so aus, als unterdrückte sie Tränen. Sie sah zu Boden und verschränkte fröstelnd die nackten Arme. Dabei schob sich das gelbe T-Shirt noch weiter den straffen Bauch hoch, und ich glaubte, trotz der fünfzehn Meter Abstand einen Schlangenkopf zu erkennen. Gerne hätte ich erfahren, in welchem Moment ihres Lebens sie den Entschluss gefasst hatte: So, ich geh jetzt ins Tattoo-Studio und lass mir eine Schlange stechen, die mir zwischen den Beinen hervorkriecht. Und was ihre Eltern, Madame und Monsieur de Chavannes, Adlige aus Lyon, davon gehalten hatten. (Ich ging davon aus, dass man sich ein Schlangentattoo eher in einem Alter stechen ließ, in dem das Urteil der Eltern noch eine Rolle spielte.) Laut Google lebten sie, seit Georges de Chavannes seinen Posten bei Magnon & Koch, einer Privatbank für Vermögensverwaltung, aufgegeben hatte, in einem kleinen Schloss an der Loire und stellten eigenen Wein her. Ob sie manchmal abends bei einer Flasche auf der Terrasse saßen, den Sonnenuntergang betrachteten, ihren Gedanken nachhingen, und irgendwann fragte Bernadette de Chavannes in die Vogelzwitscher-Grillenzirpen-Gläserklirren-Ruhe: »Glaubst du, Valerie hat immer noch dieses terrible …?«
    »Bitte, chérie ! Lass uns den Abend genießen.«
    Und was dachte Edgar Hasselbaink über die Schlange? Oder entsprang sie womöglich einem Entwurf von ihm? Und Marieke? Wie lief das auf dem Schulhof? Die Jungs: Hey, Marieke, ich hab auch ’ne Schlange da unten, die würde ich gerne mal der Schlange von deiner Mama vorstellen!
    »Mein Mann hat Frankfurt schon immer furchtbar gefunden: langweilig, provinziell, unkultiviert. Würstchen, Aktien, Bankerschnösel, und das Lieblingsgetränk der Einheimischen sei ein Abführmittel, sagt Edgar. Vor zehn Jahren kamen wir aus Paris hierher. Paris war uns zu teuer geworden, und sowieso wollten wir wegen Marieke irgendwohin, wo es weniger Autoabgase und mehr Grün gab. Da boten uns meine Eltern das Haus hier an. Mein Vater hat über zwanzig Jahre die Frankfurter Niederlassung von Magnon & Koch geleitet. Als er in Rente ging, wollten meine Eltern zurück nach Frankreich.«
    »Verzeihung, aber wenn Sie das Haus verkaufen – mit dem Geld, das Sie dafür kriegen, können Sie sich doch fast jeden Wohnort der Welt leisten.«
    »Wenn ich sagte, meine Eltern boten mir das Haus an, meinte ich nicht, dass sie es mir geschenkt haben. Wir zahlen sogar Miete, wenn auch eine verhältnismäßig niedrige – das Symbol war meinen Eltern wichtig.«
    Sie machte eine Pause, ging zu einem mit grauem Cord bezogenen Sofa von der Größe meines Gästezimmers und nahm eine weiße Strickjacke von der Lehne. Während sie sich die Jacke um die Schultern legte, sagte sie: »Meine Eltern und ich haben es nicht immer leicht miteinander.«
    »Sind Sie als Kind in dem Haus hier aufgewachsen?«
    »Ja. Ich war sieben, als meine Eltern nach Frankfurt zogen, und bis sechzehn habe ich hier gewohnt. Jedenfalls: Wir haben gedacht, es sei nur für den Übergang, bis wir uns entschieden haben, wo wir leben wollen. Aber dann… Die Bilder meines Mannes begannen, sich schlechter zu verkaufen, gleichzeitig gewöhnten wir uns an die Größe und den Komfort des Hauses, Marieke machte Frankfurt zu ihrer Heimat und so weiter – viele, zum Teil gute Gründe, warum wir immer noch hier sind. Mein Mann allerdings hat seine Meinung über Frankfurt und besonders dieses Viertel hier nie geändert. Sehen Sie, er ist in Amsterdam aufgewachsen, hat in New York gelebt, Barcelona, Paris – in den schäbigen Gegenden, nicht dass Sie denken, er vermisse irgendwelchen Glamour. In Amsterdam, als er noch Medizin studiert hat, im Studentenwohnheim, später oft in ungeheizten Ateliers, und in Paris hatten wir ein Vier-Zimmer-Souterrain-Appartement in Belleville. Was er vermisst, ist das Leben, sind die Überraschungen. Das einzig Überraschende, das einem hier auf der Straße passieren kann, ist, dass eine der Pelzmantel-Zicken mit ihren ondulierten Hunden einem freundlich guten Tag sagt.«
    Valerie de Chavannes setzte sich zurück in den Art-Cologne-Sessel mir gegenüber, und ich fragte mich, wie viele Pelzmäntel sie wohl im Schrank hängen hatte. Oder bedeuteten die Mietzahlungen an die Eltern, dass an finanzieller Unterstützung aus
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