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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Autoren: Jakob Arjouni
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Bauchnabel oder umgekehrt? Und was sollte das eine oder das andere bedeuten?
    Stattdessen fragte ich: »Seit wann genau ist Marieke verschwunden?«
    »Seit Montagmittag. Sie war morgens in der Schule, Mathekurs, dann eine Französischarbeit, danach hat sie ihrer besten Freundin gesagt, sie wolle kurz in die Stadt, eine Hose kaufen. Zum Sportkurs sei sie zurück.«
    Valerie de Chavannes schlug die Beine übereinander, und ein schmales Knie drückte sich durch die Seide. Die Plateausohle beschrieb kleine Kreise.
    »Wollen Sie mir den Namen der Freundin geben?«
    »Es wäre mir lieber… Ich habe Ihnen ja gesagt…«
    »Ich weiß, kein Aufsehen, keine Polizei, alles diskret, aber irgendeinen Hinweis, mit wem Ihre Tochter um die Häuser zieht, brauche ich schon. Oder ich fange an, in Frankfurt an jede Wohnungstür zu klopfen, arbeite mich langsam hoch nach Bad Homburg, dann durch Kassel, Hannover, Berlin, danach vielleicht Warschau oder Prag – alles Städte für junge Leute, die was erleben wollen. Außer Kassel natürlich.«
    Sie betrachtete mich humorlos. Die Plateausohle war kurz in der Luft stehengeblieben, nun wurden die Kreise schneller und größer.
    Als spräche sie mit einem begriffsstutzigen Bediensteten, erklärte sie: »Falls alles in Ordnung ist und Marieke sich einfach nur ein paar Tage herumtreiben will, würde sie es mir nie verzeihen, wenn ich ihr einen Detektiv hinterhergeschickt hätte. Sie würde mir vorwerfen, ich wolle sie ausspionieren, mich in ihr Leben mischen. Unsere Beziehung ist zurzeit nicht ganz einfach. Ich denke, zwischen einer Mutter und einer Tochter in dem Alter ist das normal.«
    Valerie de Chavannes hatte für eine Französin praktisch keinen Akzent. Nur manchmal betonte sie die Vokale am Ende eines Wortes ein wenig zu sehr: Tochteer, Alteer.
    »Na schön, wo soll ich denn dann Ihrer Meinung nach mit der Suche beginnen? Im Hosengeschäft?«
    Wieder blieb die Sohle kurz in der Luft stehen, und Valerie de Chavannes betrachtete mich mit kaum versteckter Abneigung. Trotzdem war da auch nach wie vor etwas vom Ich-denke-immer-nur-ans-eine-Blick. Als mache sie das an, so ein unrasierter, leicht übergewichtiger, müde Witze reißender Privatdetektiv mit türkischem Namen und Büroadresse in der berüchtigten Gutleutstraße.
    Es war natürlich andersrum: Sie machte mich an, und was ich den Ich-denke-immer-nur-ans-eine-Blick nannte, war vermutlich ein Ich-kann-nicht-glauben-dass-ich-so-ein-Kanackenarschloch-hier-in-meinen-Art-Cologne-Sessel-furzen-lasse-Augenausdruck. Aus irgendeinem Grund schien sie zu glauben, auf mich angewiesen zu sein.
    »Nun… Ich habe Ihnen am Telefon ja erzählt, dass Marieke in letzter Zeit Kontakt zu einem älteren Mann hatte – also, älter als Marieke, meine ich, so um die dreißig. Er ist Fotograf, das behauptet er jedenfalls. Marieke hat erzählt, er wolle Modefotos mit ihr machen, die übliche Tour. Sein Studio oder Büro, oder vielleicht auch einfach nur seine Wohnung, ist irgendwo in Sachsenhausen. In letzter Zeit fielen ein paarmal die Namen Brücken- und Schifferstraße. Da gibt’s so einen kleinen Platz mit Bäumen. Marieke hat beim Abendessen von einem Café an der Ecke dort erzählt…«
    Sie warf mir einen prüfenden Blick zu. Ob ich das Café kannte? Den Platz? Sachsenhausen? Oder war die Gutleutstraße meine einzige Welt? War ich genau das, was zu finden sie befürchtet hatte, als sie im Internet auf der Suche nach einem Privatdetektiv gewesen war: ein versoffener, grobschlächtiger, in sämtlichen vorherigen Berufen gescheiterter Problemviertelbewohner? Ärger mit der Ex? Betäubungsmittelrechnung nicht bezahlt? Der Mann vom Pizzaservice behandelt Sie schlecht? Kemal Kayankaya, private Ermittlungen und Personenschutz, Ihr Mann im äußeren Zentrum Frankfurts!
    Ich nahm einen Schluck von dem grünen Tee, der wie flüssige Fischhaut schmeckte – oder so, wie ich mir vorstellte, dass flüssige Fischhaut schmeckte – und fragte: »Warum hat sie Ihnen davon erzählt?«
    »Wovon?«
    »Von dem Café.«
    Zum ersten Mal wirkte sie irritiert. »Wieso ›warum‹?«
    »Na ja, Sie sagen, Ihre Beziehung sei zurzeit nicht ganz einfach. Warum erzählt sie Ihnen von einem Café, in dem sie sich mit einem Mann trifft, den ihre Mutter für schlechten Umgang hält. Kennen Sie ihn persönlich?« Ich lächelte Valerie de Chavannes freundlich an.
    »Ich, äh, nein…« Sie beugte sich vor und stellte ihre Teeschale auf den flachen, wolkenförmigen Glastisch zwischen
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