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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Autoren: Jakob Arjouni
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weiter. Dass so eine Auffassung für jemanden, der genug Geld besaß, wiederum eher billig war, spielte keine Rolle, weil Auffassungen nichts kosteten. Jedenfalls wollte ich bei Valerie de Chavannes, nachdem sie schon meine Büroadresse in der Gutleutstraße hatte schlucken müssen, nicht weitere Zweifel schüren, ob sie sich in die richtigen Hände begab. Umso überraschter war ich, als sie mit gerunzelter Stirn vom Papier aufsah und sagte: »Vierhundert Euro Tagessatz? Auf Ihrer Website stand: Honorar nach Vereinbarung.«
    »Falls mir ein Auftrag besonders schwierig erscheint. In Ihrem Fall bleibe ich bei meinen üblichen Konditionen.«
    »Vierhundert Euro am Tag – Donnerwetter.«
    Die Summe schien sie wirklich zu beschäftigen. Es war mir unangenehm. Andererseits… Ich warf einen Blick durchs Wohnzimmer.
    »Ist auch die Haus einrichtung von Ihren Eltern?«
    »Das meiste ja.«
    Ich stutzte. »Auch die Bilder?«
    Fast alle waren großformatige, modern anmutende Farbanordnungen, Öl auf Leinwand, in schweren, goldenen, auf alt gemachten Holzrahmen. Mal Würfel in verschiedenen Farben, mal Kleckse oder Streifen, ein zerfließender Regenbogen, ein rotes Quadrat in einem gelben Quadrat in einem grünen Quadrat und so weiter, eine rotblaue gewitterwolkenähnliche Wischerei. Als ich nun zum ersten Mal genauer draufguckte, wurde mir klar, dass es wohl kaum Werke vom Maler der ›Blinden von Babylon‹ sein konnten.
    »Das sind keine Bilder, das ist Innenarchitektur, würde Edgar sagen.«
    »Hübsch.«
    »Genau.«
    Wir sahen uns an, und unausgesprochen war klar, dass ihre Eltern sie und ihren Künstlermann offenbar zwangen, die Bilder hängen zu lassen. Vielleicht stammten sie von derselben Firma, die auch das Wartezimmer, den Konferenzsaal und den WC -Vorraum der Magnon-&-Koch-Niederlassung eingerichtet hatte. Womöglich wollten die Eltern ihrem Schwiegersohn durchs Megaphon mitteilen, welche Art von Bildern nicht irgendwann ›begann, sich schlechter zu verkaufen‹. Vielleicht wollten sie aber auch nur ihre tätowierte Tochter, die mit sechzehn von zu Hause ausgezogen war, ein bisschen quälen.
    Valerie de Chavannes wohnte also möbliert, und vierhundert Euro waren für sie kein Pappenstiel.
    »Da ich annehme, dass der Auftrag in ein oder zwei Tagen ohne allzu großen Aufwand zu erledigen ist, kann ich Ihnen anbieten, die Erfolgsprämie zu halbieren.«
    »Danke«, sagte sie, und es kam von Herzen.
    Sie unterschrieb den Vertrag, und während sie hinausging, um die vierhundert Euro zu holen, zog ich meine Jacke an und ging zu einer Din-A4-großen Zeichnung, die zwischen dem zwei mal zwei Meter großen Regenbogen und einer drei Meter langen Reihe roter und grüner Längsstreifen mit einer Nadel an die Wand gepinnt war. Ein hastiges, unsauberes Bleistiftgekritzel, das einen Mann mit Afrofrisur und weit aufgerissenem Mund zeigte, wie er zwischen zwei riesigen Bildern mit Regenbogen und Längsstreifen am Boden kniete und einen Haufen kotzte, der ihm bis zur Brust reichte und ihn zu ersticken drohte.
    Als Valerie de Chavannes zurückkam, sah sie mich vor der Zeichnung stehen.
    »Das ist lustig«, sagte ich und meinte es auch.
    »Ist es nicht«, erwiderte sie. »Hier.« Sie kam auf mich zu und gab mir vier Hundert-Euro-Scheine. »Ich werde den ganzen Tag zu Hause bleiben. Rufen Sie mich bitte sofort an, sobald Sie irgendwas Neues über Marieke erfahren…«
    Beim Namen Marieke verließ sie plötzlich die Kraft. Sie atmete schwer ein, ihr Kinn begann zu zittern, und sie presste die Lippen zusammen.
    »Bitte, bringen Sie mir meine Tochter zurück! Und vergessen Sie das mit der halben Prämie, das ist ja völlig dumm, es war nur…«, sie kämpfte gegen die Tränen, »…wir haben seit einiger Zeit wirklich wenig Geld, und dass ich daran gedacht habe, ist einfach eine furchtbare Gewohnheit, ich zahle Ihnen natürlich, was Sie wollen, bringen Sie mir nur Marieke zurück.«
    Sie war einen weiteren Schritt auf mich zugetreten, rang die Hände vorm Bauch und starrte mich flehend an. Es war quasi unmöglich, sie nicht in den Arm zu nehmen. Ihr Kopf fiel auf meine Schulter, sie gab den Tränen nach, und ihr zitternder Körper drängte sich an mich. Sie hatte die Strickjacke beim Geldholen ausgezogen, und ich umfasste ihre nackten, muskulösen Arme. Die Ärmel des T-Shirts rutschten zurück, und meine Fingerspitzen berührten ihre feuchten Achselhöhlen. Als ich dann noch ihren Busen sehr bewusst durch meine leichte Cordjacke zu
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