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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition)
Autoren: Peter Buwalda
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übernachteten sie auch in dem Bauernhaus, und dann aßen sie am nächsten Morgen warme Croissants mit Marmelade und tranken große Gläser Orangensaft, den Sigerius für sie gepresst hatte, nachdem er im Campusschwimmbad seine vierzig Bahnen geschwommen war, im Hintergrund das Bill Evans Trio, The Modern Jazz Quartet, Dave Brubeck, sanfter Sonntagmorgenjazz, der, wie er es ausdrückte, Salbe auf ihre Morgenlaunen strich. «Stell die Salbe mal ein bisschen leiser», beklagte sich Joni, doch Sigerius überhörte ihre Bitte. Er streckte den Zeigefinger in die Höhe, kniff ein Auge zu und rief mit vollem Mund: «Hört mal!» Seine Frau und seine beiden Töchter schwiegen, ließen brav das Kauen sein und konzentrierten sich, weil sie etwas hinter sich bringen wollten, was sie nicht interessierte, um dann nach rund zehn Sekunden von Sigerius mit den Worten erlöst zu werden: «Herrlich, wie Scott LaFaro um Evans herumspielt. Hört ihr das? Um ihn herum! Ja, jetzt, hier, dieser mäandrierende Bass, hört nur.»
    «Papa, ich hasse Jazz», sagte dann Janis, oder Joni, oder alle beide sagten es.
    «Hier! Unglaublich. Er ist Vorder- und Hintergrund zugleich, untergeordnet und virtuos. Das kann ich nicht leiser stellen. Ausgeschlossen.»
    In einem solchen Moment war Aaron derjenige – und eben darin bestand das Fundament ihres Bundes, in der einfachen Tatsache nämlich, dass er ein Junge war und kein Mädchen, obwohl es ganze Volksstämme von Jungen gab, denen Jazz auf die Nerven ging, denen der ganze Jazz gestohlen bleiben konnte –, der die Bemerkung fallenließ, wie schlimm er es finde, dass Scott LaFaro bei einem selbstverschuldeten Autounfall ums Leben gekommen sei und Bill Evans nach diesem fürchterlichen Verlust im Jahr 1961 nie wieder einen Bassisten dieser Klasse gefunden habe, auch wenn Chuck Israels seinem Vorgänger doch ziemlich nahe gekommen sei, vor allem mit How My Heart Sings ! Und noch ehe er mit seiner Bemerkung fertig war, sang ein anderes Herz: das des Vaters seiner Freundin, der die Menschheit in Jazzliebhaber und Unwissende aufteilte und schon öfter, auch in Gesellschaft, verkündet hatte, er habe noch nie einen jüngeren Menschen getroffen, der so viel Ahnung von Jazz habe wie er selbst, ein Federschmuck, den er nicht nur immer wieder gerne präsentierte, sondern gelegentlich, wenn niemand zusah, auch zurechtstrich.
    Die Samstagabende begannen meistens im Wintergarten, der damals noch nagelneu war und seit den Stemmarbeiten im Jahr zuvor in die Küche mit Kochinsel überging, wo Tineke schlichte, aber leckere Mahlzeiten zubereitete, nach denen sich die Runde, albern oder ernsthaft diskutierend, in das frühere Herrenzimmer begab, während Tineke ein Tablett hinter ihnen hertrug, auf dem bestrichene Rosinenwecken lagen und die Kaffeetassen abzurutschen drohten, und irgendwann öffnete Joni die Schranktüren, hinter denen sich der angeblich so unwichtige Fernseher verbarg, und ging Sigerius, wie vereinbart, eine Stunde lang nicht ans Handy. Wenn Janis dann gelegentlich (meistens gleich nach Frasier , dessen Abspann sie sich schon im Mantel ansah) mit Freunden in die Kneipen am Grote Markt zog und Joni und Tineke so gegen zehn beschlossen, sich einen Samstagabendfilm anzusehen, fragte Sigerius ihn: «Wie wär’s mit ein bisschen Musik?», und dann sagte er nicht nein, sondern ja, und sie verschwanden wie zwei Schuljungen mit einer Flasche Whisky im «Musikzimmer», einem Raum im Erdgeschoss, in dem zwei dunkelrote Chesterfield-Sofas, ein sauteurer NAD-Verstärker, ein CD-Player, ein Thorens-Plattenspieler und zwei mannshohe B&W-Lautsprecher auf Stiften und NASA-Schaumgummi standen, den Sigerius im Institut für Technische Physik organisiert hatte, und dort lauschten sie, inmitten gerahmter Fotos von Bud Powell und Thelonious Monk und Bill Evans, den demokratisch und mit beidseitigem Vetorecht ausgewählten, original aus den Staaten stammenden Langspielplatten, die Sigerius in schmalen, hohen, von seiner Frau entworfenen und gebauten Schränken aus gewachstem Buchenholz aufbewahrte.
    Jungskram, ebenso wie ihr gemeinsames Judo-Training. In der Diele des Bauernhauses hing ein vergrößertes Foto, auf dem fünf Männer mit kräftigen, nackten Oberkörpern einen Baumstamm bergauf schleppten, Geesink, Ruska, Gouweleeuw, Snijders, erzählte Sigerius ihm, und der zweite von links, der mit den angespannten Brustmuskeln und den kurzgeschnittenen dunklen Locken über dem platten Gesicht, das sei er selbst. Die
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