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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Autoren: Auma Obama
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    »Oh mein Gott! Oh mein Gott! Das darf nicht wahr sein!«
    Zum zweiten Mal las sich Lucy, meine Assistentin, den Brief durch, den sie jetzt in Händen hielt. In meiner Verblüffung hatte ich ihn einfach jemandem zeigen müssen.
    Ich stand neben Lucys Schreibtisch und sah ihrer Miene deutlich an, dass sie den Brief am liebsten noch einmal gelesen hätte – dieses Mal aber laut. Sofort gab ich ihr durch ein Zeichen zu verstehen, dass sie das um Gottes willen lassen sollte. Auf keinen Fall wollte ich, dass das ganze Büro vom Inhalt dieses Schreibens erfuhr, noch weniger von seinem Absender. Seit einiger Zeit gab es viel zu viel Wirbel um meine Person. Der Grund dafür war mein Bruder Barack, der, als erster schwarzer US -Amerikaner, Präsident der Vereinigten Staaten geworden war. Fast von einem Tag auf den anderen stand ich mit im Rampenlicht, als ein Teil seiner Familie in Afrika. Und nun schien sogar Lucy vor lauter Begeisterung durchzudrehen.
    »Du musst den Brief unbedingt einrahmen! Unbedingt!«, rief sie. Lachend nahm ich ihr das Schreiben aus der Hand. »Wirklich Auma. Stell dir mal vor, wie viel er in ein paar Jahren wert ist.«
    Jetzt musste ich erst recht lachen.
    »Du Kikuyu«, antwortete ich in gespielt vorwurfsvollem Ton.
    Den Kikuyu sagt man nach, sie hätten einen guten Sinn fürs Geschäftemachen. Lucy grinste. Zwar gehört sie einem anderen kenianischen Volk an, dem der Kamba, sie ist aber mit einem Kikuyu-Mann verheiratet.
    »Hat wohl abgefärbt«, entgegnete sie achselzuckend und mit spitzbübischem Lächeln. Ich selbst bin eine Luo.
    Ich merkte, wie die anderen Mitarbeiter im Raum neugierig wurden.
    »Meinst du nicht, es wäre sinnvoller, auf den Brief zu antworten, statt ihn als Museumsstück aufzubewahren?«, fuhr ich etwas leiser fort und versuchte, nicht nur Lucy, sondern auch mich selbst wieder auf den Boden der nüchternen Realität zurückzuholen. Gleichzeitig ging mir aber eine andere Frage durch den Kopf: Wie um alles in der Welt sollte ich bloß auf den Brief von Hillary Clinton antworten?
     
    Erst vor wenigen Minuten war mir ihr Brief übergeben worden. Ein Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft hatte ihn gebracht.Vorausgegangen war ein Anruf in meinem Büro der US -Hilfsorganisation CARE . In diesem Telefonat kündigte man mir das Eintreffen eines Botschaftsangestellten an, und innerlich reagierte ich augenblicklich mit einer Abwehrhaltung. Oft genug fühlte ich mich wie ein Tier, das in Deckung gehen muss – die stark vermehrten Bitten von Journalisten um ein Interview hatten mich überfordert und damit meine Instinkte geweckt. Dass diese Anfragen mich grundsätzlich nur über mein Mobiltelefon erreichten und nur wenige Menschen meine Büronummer kannten, war mir für einen Moment entfallen.
    Meine Handynummer hatte ich auf dem Höhepunkt des US -Wahlkampfs im Jahr 2008 all jenen gegeben, die Fragen zur Obama-Familie hatten. Als ich in Deutschland lebte, hatte ich selbst journalistisch gearbeitet, daher fühlte ich mich dem Umgang mit den Medien durchaus gewachsen.
    Dass mich aber eine derartige Flut von Anrufen erreichen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Im Grunde wollte ich mit der Vergabe meiner Nummer lediglich vermeiden, dass insbesondere meine Großmutter, die alle nur Mama Sarah nannten, in diesen Trubel hineingezogen wurde.
    Mama Sarah war nämlich nicht nur meine Großmutter, sondern auch die von Barack. Jeder wollte mit ihr sprechen. Sie sollte von seiner Familie erzählen, sie sollte die Puzzleteile zu dem Bild hinzufügen, das für die Welt noch unvollständig blieb: Wer war eigentlich Barack Obama, dieser Mann, der es als Schwarzer (und überdies Sohn eines Afrikaners) wagte, das Amt des Präsidenten der mächtigsten Nation der Welt anzustreben? Wo lagen seine Wurzeln? Wer war seine Familie?
    Viele der Reporter setzten sich ins Flugzeug und reisten nach Nairobi, von dort ging es weiter zu uns aufs Land, an einen kleinen, unscheinbaren Ort in der Nähe des Viktoriasees: Alego Kogelo. Denn dort, auf dem Hof der Familie Obama, ruhen die sterblichen Überreste von Barack Hussein Obama senior ( 1936 – 1982 ) und Onyango Hussein Obama ( 1879 – 1975 ), von Vater und Großvater des 44 . amerikanischen Präsidenten. Und dort lebt bis heute unsere Großmutter Sarah.
    Häufig war ich an der Seite meiner Großmutter, wenn sie interviewt wurde. Mit ihren damals achtundsiebzig Jahren verstand sie die Dynamik und die Anforderungen des amerikanischen Wahlkampfs noch
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