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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Autoren: Auma Obama
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erstaunlich gut. Klug und humorvoll beantwortete sie die Fragen. Ohne groß abzuschweifen, beschränkte sie sich auf das Wesentliche. Aber doch wollte ich ihr nicht zu viel zumuten, ihre körperlichen Kräfte hatten Grenzen.
     
    Hillary Clintons Brief trug ich tagelang mit mir herum. Meine Antwort musste wohlüberlegt sein. Zugleich kämpfte ich immer noch: mit meiner großen Freude über den Erfolg meines Bruders und mit der unablässigen Aufmerksamkeit, der wir anderen Obama-Familienmitglieder seitdem ausgesetzt sind. Das Schreiben der US -Außenministerin rief in mir auch eine schmerzhafte Erinnerung hervor. Damals kandidierte sie wie mein Bruder um die Nominierung. Beide waren Demokraten, aber beide waren auch schärfste Konkurrenten. Mein Bruder war vom Hillary-Lager aus mit Negativmeldungen geradezu bombardiert worden. Da ich die Regeln des politischen Kampfes nicht ganz durchschaute, schien sich für mich alles auf einer sehr persönlichen Ebene abzuspielen. Es kam mir vor, als wollte das Team seiner Rivalin nicht nur die Wahl gewinnen, sondern auch die politische Karriere meines Bruders ruinieren. Und nun bedankte sich Hillary Clinton in diesem Brief für die schönen gemeinsamen Momente in Washington und wünschte mir alles Gute. Ich konnte es kaum fassen.
    Aus Anlass der Amtseinführung von Barack saßen wir um einen Tisch, Hillary Clinton, ihr Mann Bill und andere Würdenträger der US -Politik. Während wir zu Mittag aßen, sprachen wir über Baracks Vereidigung, die Weltpolitik, Entwicklungshilfe, Kenia und meine Arbeit bei CARE . Ich erhielt sogar eine Reihe weiser Ratschläge, die ich an Barack und Michelle weitergeben sollte, Tipps, wie sie trotz des vor ihnen liegenden Lebens im Weißen Haus noch ein einigermaßen »normales« Leben führen könnten.
    Obwohl man mich nicht in Hillarys unmittelbare Nähe platziert hatte, ergab sich die Gelegenheit für eine kurze Unterredung. Dabei erlebte ich eine angenehme Überraschung, die ich so nicht erwartet hatte. Die einstige Senatorin des US -Bundesstaats New York war eine amüsante, sympathische und interessierte Gesprächspartnerin. Zu gern hätte ich mich länger mit dieser energiegeladenen, intelligenten Frau unterhalten. Kein Wunder, dachte ich, dass so viele Leute sie während des Wahlkampfs unterstützt und mit aller Kraft die Werbetrommel für sie gerührt haben. Aus nächster Nähe wurde mir zudem bewusst, warum insbesondere Wählerinnen Hillary dazu verhelfen wollten, die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden. Sie strahlte einfach eine enorme »Frauenpower« aus.
    Das Zwiegespräch mit Hillary – bei dem ich neben ihr in die Hocke gegangen war – wurde nun unterbrochen. Zum Nachtisch musste ich zurück an meinen Platz neben ihrem Ehemann, dem 42 . Präsidenten der Vereinigten Staaten. Die Muskeln meiner Oberschenkel hatten sich auch schon schmerzhaft gemeldet.
     
    Fast ein Monat verging, bevor ich endlich die richtigen Worte fand, um Hillary zu antworten. Leicht war mir das nicht gefallen. Einerseits wollte ich mir die Möglichkeit offenhalten, sie näher kennenzulernen – eine Reaktion im Sinne von »Danke, gleichfalls« hätte mir diese Möglichkeit verbaut. Andererseits fragte ich mich natürlich, ob dieses Kommuniqué nur eine reine Höflichkeitsgeste darstellte, ob es ein politisch-taktisches Manöver war oder tatsächlich der Beginn einer Bekanntschaft, die mein Leben bereichern würde. Seitdem mein Bruder ins Zentrum der Weltpolitik gerückt und zu einem Phänomen geworden war, verunsicherte mich das Interesse an meiner Person, »der Schwester von Barack Obama«.
     
     
     
     
     

2
     
    Ich verstand nie, warum ich dies oder jenes nicht machen durfte.Wieso war es meinem Bruder Abongo, der nur zwei Jahre älter war als ich, erlaubt, mich herumzukommandieren? Ich wehrte mich heftig dagegen, kämpfte hart, wenn ich versuchte, mich als einziges und etwas eigensinniges Mädchen einer afrikanischen Familie gegen all die mich umgebenden Männer durchzusetzen. Und wenn mir alles zu viel wurde, suchte ich Zuflucht in Büchern.
    Geschichten, die von Leidenschaft, Leid und heftigen Empfindungen handelten, gefielen mir am besten. Nicht nur entsprachen sie meinem Temperament, ihre packenden Inhalte gaben mir auch die Möglichkeit, meine Realität auszublenden. Als ich dann am Gymnasium in Nairobi die deutsche Nachkriegsliteratur entdeckte, begeisterte sie mich sofort. Ich war damals sechzehn Jahre alt, und wie in jedem Teenager sah
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