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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Autoren: Auma Obama
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nicht so dramatisch wie in meinen nächtlichen Fantasien. Obwohl die Hochzeit (neben dem Tod) bei den Luo das wichtigste Ereignis im Leben eines Menschen ist – das gilt für Männer wie für Frauen –, bestand eine Heirat damals im Grunde lediglich darin, dass zwischen zwei Familien ein Vertrag geschlossen wurde.
    Dabei hatte die Frau oft keine Wahl, das heißt: Sie besaß keinerlei Mitspracherecht bei den Eheverhandlungen. In den meisten Fällen legten sich die beiderseitigen Befürchtungen und Ängste der Partner jedoch rasch. Man erwartete einfach nicht, dass Heiraten unbedingt etwas mit Liebe zu tun haben musste.
    So hatte meine Großmutter meinen Großvater geheiratet, als sie selbst erst neunzehn war und er schon um die fünfzig. Auf meine Frage, wie sie sich denn mit einem Mann gefühlt habe, der so viel älter war als sie selbst, antwortete sie mit der schlichten Erklärung, dass es ihr überhaupt nichts ausgemacht habe. Mein Großvater war ein angesehener, wohlhabender Mann, und für meine Großmutter war es wichtig, dass ihre Familie ihn als »gute Partie« betrachtete. Damit stand auch für sie fest, dass er der Richtige war, und das genügte ihr.
    »Aber er war doch so alt!«, antwortete ich empört angesichts ihrer Erklärung. »Hast du ihn überhaupt geliebt?« Die Gründe, die sie mir für ihre Zustimmung aufgezählt hatte, ließ ich nicht so einfach gelten. Bereits mit acht Jahren war mir die Vorstellung, mir meinen zukünftigen Mann nicht selbst aussuchen zu können, unerträglich.
    »Du bist wirklich eine echte Baker-Enkelin«, tadelte meine Großmutter mich oft. »Deswegen verstehst du unsere Sitten und Traditionen nicht.« Baker lautete der Mädchenname meiner nordamerikanischen Stiefmutter, die mein Vater geheiratet hatte, als ich vier Jahre alt war. Als Amerikanerin beugte sie sich, wenn überhaupt, nur in geringem Maß den Sitten der Luo. Und obwohl meine Großmutter sie niemals in meiner Gegenwart kritisierte, wusste ich, dass sie ihr Verhalten nicht immer billigte.
    Auch wenn ich Großmutter Sarah über alles liebte und respektierte, nahm ich mir vor, keinesfalls ihrem Vorbild zu folgen. Niemals würde ich es zulassen, dass ein Mann über mich herrschte, nur weil ich eine Frau war, und schon gar nicht, dass irgendjemand darüber bestimmte, wen ich zu heiraten hatte. Ich war davon überzeugt, dass das Leben (und die Ehe) für eine Frau mehr bedeutete, als sich einem Mann zu unterwerfen. Und obwohl ich noch keine Ahnung hatte, wie ich es anstellen würde, war ich mir schon damals ziemlich sicher, dass ich Kenia eines Tages verlassen würde, um dieses »mehr« zu finden. Nicht für immer, denn ich liebte mein Land, aber doch für eine gewisse Zeit.
    In der Tat, je älter ich wurde, umso stärker sehnte ich mich nach einem Ort, an dem ich einfach ich selbst sein konnte, ohne mich den kulturellen Zwängen und Erwartungen meiner Familie und meiner Landsleute unterordnen zu müssen. Kurzum: nach einem Ort, wo keiner von mir verlangte, dass ich mich, nur weil ich ein Mädchen war, anders verhielt als es meinem eigensinnigen und unabhängigen Wesen entsprach.
    So wie die Bücher, in die ich mich stundenlang vertiefte, war auch meine Reise nach Deutschland letztlich eine Flucht. Einer Zukunft als hingebungsvolle Ehefrau, wie ich sie damals vor mir liegen sah, wollte ich um jeden Preis entgehen.
     
    Mein Weg nach Deutschland hatte seinen eigentlichen Anfang ja in der Gymnasialzeit genommen. In Nairobi, wo ich seit meinem vierten Lebensjahr wohnte, besuchte ich die Kenya High School, ein heute noch renommiertes Mädcheninternat. Dem Namen, den die Schule in früheren Zeiten trug, European Girls High School, entsprach auch ihrer Architektur: Die gesamte Anlage war im Stil englischer Privatschulen für die Töchter europäischer Kolonialherren erbaut worden, Einheimischen war der Zugang damals verwehrt.
    In der Zeit der britischen Herrschaft errichteten Missionare gesonderte Schulen für die Kinder der Afrikaner, sie waren wesentlich schlechter ausgestattet als die europäischen. Eine solche Schule, die 1906 gegründete Einrichtung für kenianische Jungen, die Maseno Boys Secondary School, hatte mein Vater seinerzeit besucht.
    Doch als ich nach den bei uns üblichen sieben Grundschuljahren aufs Gymnasium wechselte, gehörte diese Ära der Vergangenheit an. Mein Internat hieß nun nicht mehr »European Girls High School«, und obwohl es neben ein paar indischen einige weiße Schülerinnen gab, waren die
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