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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orth
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Markus Orths

    Lehrerzimmer

    Roman

    Schöffling & Co.

    Siebtes bis zehntes Tausend 2003
    © Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH,
    Frankfurt am Main 2003
    Alle Rechte vorbehalten

    Satz: Reinhard Amann, Aichstetten
    Druck & Bindung: Pustet, Regensburg
    ISBN 3-89561-095-x
    www.schoeffling.de

    Ein Muss für Lehrer und Schulleiter mit Humor ist
    Markus Orths’ neuer Roman. Denn der Autor, der
    im 1. Beruf Lehrer war, erzählt so frech und witzig,
    treffend und entlarvend satirisch vom Alltag der
    Lehrerschaft, dass es eine wahre Freude ist.
    Studienassessor Kranich, Englisch und Deutsch,
    erscheint zum Vorstellungsgespräch bei seinem
    neuen Chef, dem Leiter eines Göppinger
    Gymnasiums. Und gleich lernt der Neue mal die
    wichtigsten Regeln des Schulsystems: Angst,
    Jammer, Schein und Lüge. Nur wer all das perfekt
    beherrscht, kann mit einer guten
    Leistungsbeurteilung rechnen. Und da ja
    bekanntlich der, der es besonders gut machen will,
    in viele der bereitgestellten Fallen stolpert, steht
    dem bemühten Assessor mit den guten
    pädagogischen Zielen ein harter Schulalltag bevor.
    Überall lauert das Unbekannte, lauern Konferenzen
    und Beurteilungsbögen. Dass der neue Lehrer nicht
    am Ort wohnt, die Notenlisten nicht auswendig
    kennt, das englische Wort für Lawinengefahr nicht
    parat hat, mit den falschen Lehrern Bier trinken
    geht, tut seiner Beurteilung nun wirklich nicht gut.
    Sehr zu empfehlen.

    Prolog

    Drei Wochen lang habe ich keinen Fuß vor die Tür gesetzt, aus Angst, den Anruf zu verpassen. Ich habe allen, die mich kennen, verboten, sich bei mir zu melden. Nichts, habe ich gesagt, könne so wichtig sein, dass es nicht bis nach dem Anruf Zeit hätte. Als in der ersten Woche das Telefon schellte, früh am Morgen, stand ich unter der Dusche. Ich sprang, ohne den Duschvorhang wegzuziehen, hinaus, rutschte beinah aus und kam gerade noch rechtzeitig zum Telefon, kurz vorm Anspringen des Anrufbeantworters. Ich verstand nur das eine Wort Umfrage und knallte den Hörer zurück auf die Gabel.
    Zitternd vor Aufregung, nackt und tropfend saß ich auf der Couch. Fortan verzichtete ich auf das morgendliche Duschen.
    Ich beauftragte einen Nachbarn, mir ein schnurloses Telefon zu besorgen. Um vier Uhr morgens, zu einem Zeitpunkt, an dem die Anrufwahrscheinlichkeit gegen null tendiert, stöpselte ich das alte Telefon aus der Buchse und das neue ein. Dann befestigte ich eine Kordel am Hörer und knüpfte ihn mir um den Hals. So, dachte ich, kann nichts mehr schief gehen. Ich ließ mir das tägliche Essen von einem Restaurantservice bringen, und mit dem Telefon um den Hals konnte ich den Lieferanten gelassen die Wohnungstür öffnen. Dann saß ich in meiner Wohnung und wartete. Den Lautstärkeregler des
    Fernsehers stellte ich auf die kleinste noch wahrnehmbare Stufe. Fürs Lesen fehlte mir die Muße. Ich begann zu rauchen.
    Regelmäßig um vier Uhr morgens kontrollierte ich mit einem kurzen Druck auf die Abnahmetaste, ob die Leitung noch intakt war, und erst wenn ich das Freizeichen vernommen hatte, war an Schlaf zu denken. Ich erinnerte mich oft an die Horrorgeschichten, die man sich im Kurs über die wenigen Menschen erzählt hatte, die im Anrufzeitraum nicht erreichbar gewesen waren: eine tollkühne Verantwortungslosigkeit sich selbst und dem eigenen Leben gegenüber. Einer, hieß es, sei sogar während des Anrufzeitraums in Urlaub gefahren; ein anderer habe zwar den Anruf entgegengenommen, jedoch an einem Samstag um zehn Uhr abends, und jener offensichtlich nicht mehr seiner Sinne mächtige Mensch habe allen Ernstes geantwortet, nicht jetzt, es sei Wochenende, da habe er anderes vor, man solle ihn gefälligst am Montag wieder anrufen, und unser kompletter Kurs war in haltloses Lachen ausgebrochen, als der Koordinator diese Geschichte erzählt hatte. Ich malte mir aus, was geschähe, würde ich den Anruf verpassen: ein Leben unter Brücken, Nächte in einem Obdachlosenheim,
    Verzweiflung, Grauen, Kälte. Aber der Griff an mein vor der Brust baumelndes Telefon beruhigte mich, ich hatte mir nichts vorzuwerfen, ich war erreichbar , ständig, rund um die Uhr, von der einen Sekunde um vier Uhr morgens einmal
    abgesehen. Ich verwahrloste in diesen Wochen, verzichtete aufs Rasieren, warf mir morgens nur eine Hand voll Wasser ins Gesicht, bekam Ringe unter den Augen, weil ich viel zu wenig schlief und stattdessen durch die Wohnung tigerte. Und als nach drei Wochen endlich das Telefon schellte, war ich so
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