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Der Kampf der Insekten

Der Kampf der Insekten

Titel: Der Kampf der Insekten
Autoren: Frank Herbert
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1.
     
    Er sah wie ein Sertanejo aus, einer jener armseligen Guarani-Mestizen aus dem Busch, die verstreut im weiten Hinterland des Sertao in Lehmhütten hausten und als Landarbeiter Frondienste für reiche Fazendeiros leisteten oder ihre Stückchen selbstgerodeten Landes bestellten.
    Die Tarnung war so gut wie vollkommen, außer wenn er sich beim Durchwandern einer der vielen sumpfigen Dschungelniederungen vergaß; dann neigte seine Haut dazu, sich in ein stumpfes Grün zu verfärben, und er verschmolz mit dem Hintergrund von Laub und Ranken, bis er in seinem schmutzigen grauen Hemd, der zerfetzten Hose, dem ausgefransten Strohhut und den aus einem alten Autoreifen geschnittenen Sandalen ein gespenstisch entkörperlichtes Aussehen annahm.
    Solche Versehen wurden seltener, je weiter er die trägen, lehmbraunen Wasser des oberen Parani hinter sich ließ. Als er in das von den Bandeirantes beherrschte Gebiet kam, hatte er diesen Chamäleoneffekt fast ganz unter Kontrolle.
    Nun hatte er den unwegsamen Sertao verlassen und wanderte einen staubigen braunen Feldweg entlang, der die parzellierten Bauernanwesen des Besiedlungsplans mit der nächsten Stadt verband. Er wußte, daß dort einer der Kontrollpunkte der Bandeirantes war, und mit einer beinahe menschlichen Geste befingerte er den Personalausweis unter seinem Hemd. Hin und wieder, wenn keine Menschen in der Nähe waren, übte er laut den Namen, der für ihn ausgewählt worden war – Antonio Raposo Tavares.
    Die Worte kamen ein wenig knarrend und rauh heraus, aber er wußte, daß seine Stimme ihn nicht verraten würde. Seine schwarzsträhnige Ponyfrisur und die glitzernden dunklen Augen wiesen ihn deutlich genug als einen Indio aus, und die Guarani sprechenden Indios von Goias waren für ihren Akzent und die fremdartige Modulation bekannt. Die Bauern, bei denen er am vergangenen Abend untergekommen war, hatten es gesagt.
    Als ihre Fragen über sein Woher und Wohin lästig geworden waren, hatte er sich auf ihre Türschwelle gekauert und seine Flöte gespielt, die er in einem um seine Schultern geschlungenen Lederbeutel mit sich trug. Die Geste war ein Symbol. Wenn ein Guarani die Flöte an seinen Mund setzte und zu spielen begann, bedeutet es, daß genug Worte gewechselt waren.
    Die Cabocios hatten die Achseln gezuckt und ihn in Ruhe gelassen.
    Seine Wanderung, die schwierige und sorgfältig gemeisterte Bewegung der Beine, hatte ihn jetzt in eine Gegend gebracht, wo viele Menschen lebten. Voraus konnte er rotbraune Ziegeldächer sehen, und etwas zur Linken waren die weißen Schuppen und der mit Wellblech verkleidete Turm der Bandeirantes, wo ihre Flugzeuge landeten und starteten. Der Anblick hatte etwas, das an einen Bienenkorb gemahnte.
    Er fühlte eine momentane Aufwallung von Instinkten, die er meistern mußte. Diese Instinkte konnten ihn bei der bevorstehenden Prüfung verraten. Er trat an den Rand der Landstraße, ließ die Menschen vorbeigehen und konzentrierte sich auf die Übung, die seine geistige Identität vereinte. Der resultierende Gedanke drang zu den kleinsten und entlegensten Einheiten seiner Person durch: Wir dienen dem größeren Ganzen.
    Er setzte seinen Weg zum Bandeirante-Kontrollpunkt fort. Der vereinigende Gedanke verlieh ihm ein unterwürfiges Aussehen, das wie ein Schild gegen die Blicke der Menschen war, die überall um ihn her redeten, lachten, fluchten und feilschten. Die trostlosen Blech- und Bretterhütten einer Favela säumten die Straße, und die Luft roch nach Fäulnis und menschlichen Exkrementen. Niemand beachtete ihn. Seine Art kannte viele menschliche Verhaltensweisen und wußte, daß Ärmlichkeit und Unterwürfigkeit eine Form von Tarnung waren.
    Die staubige, unratbesäte Lehmpiste wurde zu einer gepflasterten Marktstraße mit niedrigen, farbig getünchten Steinhäusern, offenen Verkaufsständen und quirlendem Leben. Nach ungefähr fünfhundert Metern mündete diese abrupt in die betonierte Schneise einer mehrspurigen Fernstraße, die von links herankam und ins Stadtinnere führte. Hier verkehrten zahlreiche Fahrzeuge, und die Fußgänger wurden auf schmale Gehsteige zu beiden Seiten abgedrängt.
    Bisher hatte man ihn kaum beachtet. Die gelegentlichen spöttischen Seitenblicke der Stadtbewohner, die dem hinterwäldlerischen Indio galten, konnten getrost ignoriert werden. Er achtete auf forschende, mißtrauische Blicke, die Gefahr signalisieren konnten, sah aber keine.
    Unterwürfigkeit schützte ihn.
    Die Sonne war ihrem Zenit
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