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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition)
Autoren: Peter Buwalda
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in dem kleinen Buchladen mit dem passenden Namen Once Upon A Time eine Zeitung, holte in der Apotheke gegenüber der jahrhundertealten Platane seine Medikamente ab. Manchmal aß er ein paar Saté-Spieße im Bistro an der Stirnseite des Platzes und schlurfte dann mit einem imaginären Rollator auf den Hügelkamm, wo er sich von seinem großzügigen, schuldenfreien Haus verschlucken ließ.
    Laut seinen Ärzten war er ein Patient, der seinen eigenen Zustand «kannte und anerkannte», was bedeutete, dass er seine Tabletten von sich aus einnahm und daher in der Lage war, auf sich allein gestellt zu wohnen. Aber damit war schon alles gesagt. Er führte ein Leben ohne jede Ambition. Die Triebfeder seines Daseins war das Vermeiden geworden – das Vermeiden von Aufregung, das Vermeiden von Spannungen, das Vermeiden von Triebfedern sogar.
    Er betrachtete seine Knie. Wie wäre es, wenn er hier in diesem überfüllten Abteil über die Details seiner Misere plaudern würde? Ausführlich, konzentriert, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, ein Monolog über Angstzustände während einer Psychose? Ein Vortrag, ein bündiger Bericht, ein episches Gedicht über die unermesslichen, irrationalen Urängste, die er ausgestanden hatte. Die Pendler hingen dicht an dicht an ihren Halteschlaufen, niemand würde abhauen können. Wenn er sich ein wenig Mühe gab, wenn er die richtigen Worte wählte, dann würde vielleicht die Angst, die er beschrieb, auf seine Zuhörer überspringen, zuerst auf Tineke, dann auf das Mädchen in seinem zu kleinen Kostüm und dann auf alle anderen in den Abteilen und Gängen. Und alle würden sie vor Angst vergehen. Seine Angst würde zur Angst eines jeden werden. Zu rasender Panik, als wäre das Semtex in seinem Oberstübchen explodiert.
     
    Mit Sigerius verstand er sich ausgezeichnet. Im Winter des Jahres 1995 bandelte Aaron mit einem intelligenten, selbstbewussten, bildschönen Mädchen an, das Joni hieß, und diese Joni erwies sich als eine Vollblut-Sigerius. Zwei Monate später war er zu seinem eigenen Erstaunen zum Tee bei diesem Mann und dessen Familie. Und das, was am allerunwahrscheinlichsten war, geschah: Ausgerechnet der, der vom gesamten Campus umschmeichelt wurde und dem er als Venloer Schulabgänger atemlos am Fernseher zugesehen hatte, reichte ihm seine schwielige Judohand. Und er ergriff die Hand, begierig, aber auch verwundert. Sie wurden Freunde, und Aaron fragte sich lieber nicht, warum.
    Joni und er waren mindestens einmal im Monat, an einem Samstag, zum Essen in dem Bauernhof am Rande des Campus, einem weiß verputzten, komplett umgebauten Domizil, das so attraktiv war, dass Passanten spontan «Sollten Sie irgendwann einmal umziehen»-Zettel durch den Briefschlitz in der dunkelgrünen Eingangstür warfen. Obwohl er Joni wegen ihrer Anhänglichkeit gegenüber ihren Eltern regelmäßig aufzog («Nicht gleich Papi anrufen», sagte er, als sie plötzlich in Jonis verwaistem, stockdunklem Studentenwohnheim an der Einkaufsstraße De Heurne einen Kurzschluss beheben mussten), hatte er auf diese Besuche immer Lust gehabt. Wenn Joni und er mit dem Fahrrad zum Bauernhaus fuhren, verwandelte sich die Innenstadt von Enschede unter ihren Rädern allmählich in den Wald bei Drienerlo, und der wiederum ging unmerklich in den Campus über, der vier Jahre lang die Kulisse ihrer Beziehung war. An diesen Samstagen erweckte die Tubantia den Eindruck, hochschwanger zu sein. Die summenden Weiden sahen grasiger aus als während der Woche, in seiner Erinnerung fielen die Waldwege leicht ab, sie radelten durch eine nach Pollen duftende Hügellandschaft, in der es vollkommen logisch zu sein schien, dass die Weiher Weiher waren. Das glitzernde Wasser hatte sich an den tiefsten Stellen gesammelt, so wie Hunderte von Gelehrten und Tausende von Studenten hierhingeströmt waren, um genau hier zu brillieren. Man konnte ihre Gehirne leise brummen hören, die Äcker und Bäume und Böschungen wirkten elektrisch geladen von den Milliarden Bits und Bytes, die zu ihren Füßen durch das Campusnetzwerk jagten. Wenn sie abends wieder nach Hause fuhren, herrschte prähistorische Finsternis, und die sanften Hügel waren zu flachen Tälern geworden, die Wiesen und Wälder zu Lagern schlafender Fakultätsgebäude. Angewandte Mathematik lag da wie ein Brontosaurus in seinem Tümpel, der Tyrannosaurus Rex der Technischen Physik reckte sich bis über die höchsten Baumkronen, den schlafenden Kopf inmitten leuchtender Sterne.
    Manchmal
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