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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition)
Autoren: Peter Buwalda
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Lüge. Er gab vor, besser zu sein, als er tatsächlich war. Das fing schon mit dem Jazz an. Eines Sonntags im Bauernhaus, nicht lange nachdem sie einander vorgestellt worden waren, schlürften sie heißen Kaffee aus Tassen mit kleinen Henkeln. Sigerius, abwesend, in Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt, erhob sich und ging zu einem hypermodernen Metallschrank, in dem, wie sich zeigte, ein Plattenspieler stand, und legte eine LP auf. Jazz. Noch ehe er wieder neben seiner Frau auf der langen altrosafarbenen Couch Platz genommen hatte, wusste Aaron, welche Platte es war. Um sicher zu sein, wartete er noch einen Moment, aber es stimmte: Das Thema, das melodische, etwas gefällige Klavierspiel, das war Sonny Clark, und die LP hieß Cool Struttin’ . Er sah die klassische Blue-Note-Hülle vor sich, auf der zwei Frauenbeine über einen (wie er meinte) New Yorker Bürgersteig gingen. Er sagte, über die Köpfe von Joni und Tineke hinweg: «Schöne Platte, Cool Struttin’ .»
    Sigerius, mit einem erstaunlichen Morgenbart, den heranzuzüchten Aaron eine Woche brauchen würde, riss seine braunen Augen auf. « Cool Struttin’ ist eine phantastische Platte», sagte er, schärfer, höher, als wäre ein Klavierstimmer am Werk gewesen. «Die kennst du also. Cool Struttin’ ist die mit Abstand beste LP von Clark Terry.»
    Clark Terry? Sigerius irrte sich, das war Aaron sofort klar, er verwechselte Sonny Clark mit Clark Terry, was für ein komischer Fehler, doch er beschloss, ihn nicht darauf aufmerksam zu machen. Es war taktisch unklug, seinem neuen Quasi-Schwiegervater wie ein Schlaumeier auf die Finger zu klopfen, doch vollkommen den Dummen zu spielen, dafür war er zu stolz. «Einverstanden», sagte er, «das war Sonny Clarks beste Band, mit dem kultivierten Philly Joe Jones am Schlagzeug. An den Becken diesmal nicht wie ein Hooligan.»
    Augen wie Kuchenteller, für einen Moment, dann plötzlich zusammengekniffen: « Terry. Das ist Clark Terry.»
    «Das ist Sonny Clark am Klavier», sagte Aaron entschiedener als nötig. «Terry spielt Trompete.»
    «Weißt du das ganz genau?», fragte Joni.
    Sigerius stand mit einem Ruck auf, schlüpfte an seiner Frau vorbei und ging mit auf den Fliesen klackenden Schritten zu dem eigenwilligen Stahlschrank, den, wie er später erfahren sollte, Tineke gebaut hatte. Er zog die Hülle hervor, betrachtete kurz Vorder- und Rückseite, stellte sie wieder neben den Plattenspieler und schloss den Schrank. Herausfordernd langsam ging er zurück zur Couch und setzte sich.
    «Du hast recht. Natürlich hast du recht. Ich habe Terry verdammt noch mal sogar live gehört, im Kurhaus Scheveningen. Und später noch mal in Boston. Meine Damen, in Zukunft muss ich aufpassen, was ich sage.»
    Genau das tat Aaron während der noch verbleibenden Viertelstunde: Sigerius kam nicht dahinter, dass er gar nicht so viel von Jazz verstand und der Titel der Platte von Sonny Clark ein Zufallstreffer war. Er kannte Cool Struttin’ so gut wegen der Beine, er hatte die Platte mal an einem Königinnentag auf dem Flohmarkt gekauft, weil ihm die Hülle gefiel, sie hatte jahrelang, mit vier Tesastreifen befestigt, an seinem Kleiderschrank gehangen, während die Vinylscheibe auf dem Plattenspieler verstaubte. Er mochte Jazz sehr, doch wenn er ehrlich war, schlug sein Herz eher für Blues und Rock ’n’ Roll.
    Aber Ehrlichkeit war nicht seine Spezialität. Nachdem Sigerius ihn zum Jazz-Kenner ernannt hatte, zu einem, der über grenzenloses Wissen auf seinem persönlichen Fachgebiet verfügte, zu einem Bruder im Geiste, machte er sich wie ein Besessener an die Arbeit. Noch in derselben Woche ließ er sich in der Buchhandlung Broekhuis von einem nervösen Typen im schwarzen Rollkragenpullover den Penguin Guide to Jazz on CD andrehen, eine Jazzbibel mit fünfzehnhundert Seiten, in der, so der Rollkragenpullover, nicht nur die ganze Geschichte des Jazz zu finden sei, sondern außerdem, mittels eines praktischen Sternesystems, die Spreu vom Weizen getrennt werde. Im modernen Antiquariat auf der anderen Straßenseite kaufte er eine Miles-Davis-Biographie, das Buch Jazz For Dummies sowie ein anderes, das Billie und der Präsident hieß. In seinem Portemonnaie steckte schon seit Jahren die Visitenkarte eines pensionierten Zahnarztes aus Boekelo, eines silbergrauhaarigen Herrn in roter Hose, der eines Tages in der Mediathek des Campus hinter ihm gestanden und beobachtet hatte, dass er eine LP von Bud Powell entlieh. Der Mann sprach
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