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Inkasso Mosel

Titel: Inkasso Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Mittwoch, 20. November
    Walde stand auf der Leiter und trug mit einem Pinsel Farbe rund um das Kabel der von der hohen Zimmerdecke herabhängenden Glühbirne auf. Sein Nacken schmerzte. Unpassende Töne mischten sich in die Musik, die von den leeren Wänden widerhallte. Er lauschte. Da waren sie wieder. Sein Telefon läutete. Beim Hinabsteigen hielt er sich mit einer Hand an der Leiter fest, mit der anderen balancierte er eine Plastikschale, auf der ein Pinsel hin und her rollte.
    Das Klingeln kam aus dem Kleiderbündel in der Ecke. Ein Stück Zeitungspapier blieb unter seinem Turnschuh haften. Er versuchte, mit dem anderen Fuß darauf tretend, sich davon zu befreien. Beide Hände waren mit Farbe beschmiert. Es klingelte zum vierten Mal. Walde eilte zur Leiter zurück und nahm den Lappen von der obersten Sprosse.
    »Ja, ja, ich komme schon!«
    Auf dem Weg zurück pappte wieder das Blatt unter seiner Sohle. Mit dem Ellenbogen schob er den Lautstärkeregler des Rekorders auf Null. Es klingelte zum sechsten Mal. Walde hielt vor dem Kleiderbündel inne. Hatte der Anrufer aufgelegt? Es läutete zum siebten Mal. Mit spitzen Fingern zog er das Handy aus der Hosentasche.
    »Ja? Bock?«
    »Wo sind Sie denn?«, die weibliche Stimme klang unfreundlich.
    »In Afrika, es ist hier mitten in der Nacht«, sagte Walde, der die Stimme der Sekretärin des Polizeipräsidenten erkannt hatte.
    »Was machen Sie denn in Afrika?«
    »Safari, Tiger jagen, was man im Urlaub halt so macht.«
    Am anderen Ende war Stille.
    Walde sah sich in dem kahlen Raum um. Die Ränder der grauen Raufasertapete waren über den Fußleisten und an den Kanten zur Decke himmelblau gestrichen. Er hatte das Gefühl, als befände er sich im Inneren eines riesigen mit einer blauen Schleife umwickelten Pakets.
    »Ich dachte«, die weibliche Stimme klang unsicher, »Sie würden nicht wegfahren, wegen des … ich mach’ dann mal besser Schluss, sonst wird das zu teuer, schönen Urlaub noch und entschuldigen Sie.«
    Das Telefon hatte einen blauen Fleck. An der Hose oben auf dem Kleiderbündel klebte ebenfalls Farbe.
    »Mist«, fluchte Walde. Er legte das Handy auf ein sauberes Zeitungsblatt.
    ERMITTLUNGEN IM FALL DES MOSELMÖRDERS EINGESTELLT. Die dicken Lettern sprangen ihn an. Der Artikel war mit einem Archivfoto bebildert, das Walde bei der Pressekonferenz nach der Festnahme des selbst ernannten Racheengels Ströbele vor mehr als einem halben Jahr zeigte.
    »Da hast du noch fünf Jahre jünger ausgesehen.«
    Walde zuckte zusammen.
    »Ich kann mich immer noch nicht an deine neue Frisur gewöhnen.«
    Walde drehte sich um. Uli, im farbverschmierten Blaumann, stand dicht hinter ihm und schaute ihm über die Schulter. »Die Tür war offen.« Er stellte eine große Kühltasche mit Coca-Cola- Aufdruck ab. Uli hatte nach Jahrzehnten in der örtlichen Tageszeitung aus Frust darüber, nicht als Nachfolger des in den Ruhestand gehenden Chefredakteurs berücksichtigt worden zu sein, den Kram hingeworfen und damit auch gleichzeitig seiner Ehe den Rest gegeben. Nun betrieb er am Hauptmarkt ein Bistro mit dem passenden Namen, Gerüchteküche , gab unregelmäßig ein ,Extrablatt ’ heraus, das vornehmlich Themen behandelte, die seiner alten Tageszeitung zu heiß waren, hatte eine neue Freundin und regelmäßige Kontakte zur alten Familie.
    »Die Haustür war offen?«, fragte Walde.
    »Deine Nachbarin von oben war so freundlich, mich ins Haus zu lassen. Dafür hab’ ich ihre Einkäufe nach oben getragen.«
    »Die Frau ist noch keine dreißig!«
    »Na und?«
    »Ich hoffe, dass sich deine Tatkraft für heute nicht in Jungen-Damen-die-Taschen-Schleppen erschöpft hat!«
    Uli stellte eine weitere Kühltasche neben das Kleiderbündel: »Hier ist auch noch was Gutes drin. Aber vor das Vergnügen hat Gott die Arbeit gesetzt.«
    Wieder klingelte das Telefon.
    »Ja? Bock?«
    »Herr Bock?«, fragte eine Stimme, die Walde gleich Polizeipräsident Stiermann zuordnete.
    »Ja?« Walde wünschte sich, schlagfertiger zu sein, aber ihm fiel nichts ein, um das Gespräch blitzschnell beenden zu können.
    »Ich mach’ das wirklich sehr ungern, Sie im Urlaub zu behelligen, aber wir brauchen Sie hier.«
    Die Idee kam Walde zu spät. Er hätte behaupten können, sich im Kreißsaal bei der Geburt seines ersten Kindes zu befinden. Aber die Wahrheit schien ihm Entschuldigungsgrund genug: »Ich stecke voll in der Renovierung meiner neuen Wohnung. Ende nächster Woche ist Umzugstermin, wir haben zwei
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