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Inkasso Mosel

Titel: Inkasso Mosel
Autoren: Mischa Martini
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seiner linken Wange bis zur Stirn hinterlassen hatten. Er überlegte, ob alle Anwesenden ebenfalls das mächtige Rauschen hörten, das in seinen Ohren klang. Ob auch sie es so störend empfanden, den Geruch einatmen zu müssen, der sich aus Zigarettenrauch, Kaffeedüften und trocknenden Regenjacken zusammensetzte?
    Meier, wie immer mit unbewegter Miene, leierte mit monotoner Stimme den Tathergang in die Mikrofone: »Die Waffe des Richters, eine Beretta, Neun-Millimeter, war ordentlich angemeldet. Dr. Harras besaß seit Jahrzehnten einen Waffenschein. Die ersten fünf Kugeln waren Dum-Dum-Geschosse mit stumpf gefeilten Kugelspitzen, wodurch besonders großflächige Einschusslöcher verursacht werden. Zwei trafen den Kopf«, Meiers Stimme wurde lauter, »drei den Oberkörper des Opfers, eine davon zerfetzte die Herzarterie. Der Körper wurde regelrecht durchsiebt.« Im Raum war es totenstill. »Das Blut ist bis in den Fahrstuhlschacht geflossen.« Meier blickte in die Runde, wo einige Journalisten gespannt die Luft anhielten. »Die letzte Kugel, die sich Harras ins eigene Herz geschossen hat, war nicht präpariert.«
    Gabi dachte, für die Mikrofone hörbar, laut vor sich hin: »Sein Herz war schon vorher gebrochen.«
    Die Fragen der Journalisten überschlugen sich. Polizeipräsident Stiermann breitete die Arme aus, bis Ruhe einkehrte. »Bitte, meine Damen und Herren, stellen Sie Ihre Fragen nacheinander.«
    Wieder ging das Geschrei los. Monika trat ans Mikro: »Ich bitte um Handzeichen.«
    So kam die erste akustisch verständliche Frage zustande.
    »Welches Motiv hatte Richter Harras?«
    »Zum jetzigen Zeitpunkt der Ermittlungen können wir nur spekulieren«, antwortete Monika.
    »Wurde der Richter erpresst?«
    »Das ist möglich.«
    »Hat Degrich seine beiden Komplizen freigepresst?«
    »Auch das ist möglich«, war Monikas Antwort.
    »Ging der Mord an Hanna Harras auf Degrichs Konto?«
    »Nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen«, antwortete Monika, »handelte es sich bei Degrich um den flüchtigen dritten Täter der Geiselnahme. Um seine Komplizen freizupressen, hat er Richter Harras mit einem Anschlag auf seine Tochter gedroht.«
    »Gedroht?«, rief ein Journalist dazwischen.
    »Zuerst ja, aber dann hat er die Drohung in die Tat umgesetzt.«
    »Aber die starb doch, bevor die beiden freigelassen wurden«, rief einer der Journalisten.
    »Da war die Gerichtsmaschinerie nicht mehr zu stoppen.«
    »Warum hat der Richter nicht Anzeige erstattet, nachdem seine Tochter tot war?«
    Monika schüttelte den Kopf: »Darüber liegen uns noch keinen Erkenntnisse vor.«
    »Hat er die Selbstjustiz von Anfang an geplant oder wollte er seinen Richterkollegen beim OLG decken, der bei der Freilassung mitgewirkt hat?«
    Stiermann tat so, als habe er die letzten Fragen nicht gehört und beendete den Pressetermin.
    *
    Auf dem obersten Parkdeck des Krankenhauses schaffte es Walde gerade noch, den Wagen zum Stillstand zu bringen, bevor ihn ein Niesanfall überkam. Er fasste ins Handschuhfach und hielt statt der Packung mit Papiertaschentüchern einen großen Briefumschlag in der Hand. Mist! Er hatte die Bankunterlagen aus dem Geheimfach in Hannas Wohnung vergessen!
     
    Doris hatte bereits Besuch, als Walde in ihr Zimmer in der Wöchnerinnenstation kam. Marie, Jo und Philipp, der einen Zeichenblock auf den Knien balancierte, saßen um das Bett.
    Das Baby schlief friedlich in Doris’ Arm. Walde blieb am Fenster stehen und schaute Philipp über die Schulter.
    »Das könnte glatt als Maria mit dem Jesuskind durchgehen, wenn du den Fernseher im Hintergrund weggelassen hättest«, kommentierte Walde Philipps Zeichnung.
    Als erste fiel Marie Waldes mitgenommener Zustand auf. »Wenn ich nicht genau wüsste, dass Jo zur Zeit abstinent ist …«
    »… das ist eindeutig Schlafmangel«, kam Jo seinem Freund zu Hilfe. »Wir haben wirklich noch keinen draufgemacht auf Gesine.«
    »So wird sie ganz bestimmt nicht heißen«, sagte Doris.
     
    Als ihre Freunde gegangen waren, erzählte Walde Doris, was sich ereignet hatte. Dabei ließ er auch die Vorgeschichte nicht aus. Sie hörte ihm aufmerksam zu. Zum Schluss erwähnte er das Treffen mit Hecht.
    »Die Scheidung war letzten Mittwoch«, sagte Doris. »Leo und ich haben auf gegenseitige Ansprüche verzichtet. Es war eine reine Formsache und hat keine Viertelstunde gedauert. Es war spät, glaube ich, aber nicht zu spät. Mit Annika«, sie wies auf das Bettchen, in dem das Baby jetzt schlief, »hat ein
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