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Inkasso Mosel

Titel: Inkasso Mosel
Autoren: Mischa Martini
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kam. Walde blieb, bis das Baby für die Nacht ins Neugeborenenzimmer gebracht wurde. Doris war den ganzen Nachmittag über immer wieder eingenickt. Beim Abschied musste er ihr versprechen, sich endlich auszuschlafen, was ihm nicht schwerfiel.
    *
    Als Walde unter dem Vordach des Krankenhauses ins Freie trat, fiel ihm zeitgleich mit dem ersten Regentropfen, der auf seine Stirn klatschte, ein, dass er den Schirm oben bei Doris vergessen hatte. Nach den wenigen hundert Metern bis zum Präsidium waren seine Haare triefnass. Er schüttelte den Kopf, wie er es tat, wenn er aus dem Springerbecken im Schwimmbad auftauchte. Durch den Nebeneingang betrat er vom Hof aus das Gebäude.
    In seinem Büro angekommen, drehte er die Heizung hinter seinem Schreibtischstuhl bis zum Anschlag, fläzte sich in den Stuhl, die Füße auf dem Tisch und den Kopf nach hinten in die warm aufsteigende Luft haltend.
    Seinen Kollegen Grabbe bemerkte er erst, als der sich schon auf den Schreibtisch neben Waldes Füße gesetzt hatte.
    »Glückwunsch! Bist du betrunken oder nur müde?«
    »Trunken vor Glück und hundemüde«, Walde setzte sich auf und fuhr mit der Hand durch seine Haare, die fast trocken waren. »Ich hab’ hier irgendwo eine Kappe liegen.« Er schloss seinen Schreibtisch auf und kramte benommen in den Schubladen. Er fand seine Dienstpistole und packte sie mitsamt dem Halfter auf den Tisch.
    »Ich bin mit dem Bus hier, aber ich find bestimmt jemanden, der dich nach Hause fährt«, bot Grabbe an.
    »Mist, heute vergess’ ich aber wirklich alles.« Walde wusste nicht, was er mit der Waffe sollte, und packte sie wieder zurück in die Schublade: »Der Bäcker hat mich heute Mittag angerufen.«
    »Welcher Bäcker?« Grabbe musterte Walde skeptisch.
    »Du brauchst nicht so zu gucken, ich war für eine Minute eingenickt, ich bin seit …«, Walde gab den Versuch auf nachzurechnen, »… einer Menge Stunden auf den Beinen.«
    »Was war mit dem Bäcker?«
    »Der hat mich angerufen, heute Mittag, und mir erzählt, dass der Kerl, der ihn zusammengeschlagen hat, kein Russe war, sondern ein Deutscher, der mit russischem Akzent spricht.«
    »Und wie kommt er dazu, ausgerechnet dich anzurufen?«
    »Das ist eine längere Geschichte, die ich im Moment nicht erzählen möchte.«
    »Hat das was mit dem Russen zu tun, der dich..?«, versuchte es Grabbe noch einmal.
    »… kann sein, aber dann wäre das vielleicht auch kein Russe gewesen.«
    »Aber warum macht der denn so was?«
    »Ganz einfach, weil die Leute blöd sind und wir auch.« Walde fühlte sich wieder hellwach. »Habt ihr dem Bäcker Fotos vorgelegt?«
    Grabbe nickte.
    »Von ausländischen Personen aus unserer Kartei?«
    Grabbe nickte wieder.
    »Auch von Deutschen?«
    Grabbe schüttelte den Kopf.
    »Du hast dir doch sicher auch keine Fotos von Deutschen angeschaut«, versuchte sein Kollege zu kontern.
    »Stimmt«, gab Walde zu. »Aber ich habe mir bisher überhaupt noch keine Fotos angeschaut.«
    »Dann wird’s aber höchste Zeit!«, sagte Grabbe. »Ich ruf’ den Bäcker an, dass er herkommen soll.«
    Schon nach dem fünfzigsten Foto hatte Walde Konzentrationsprobleme und musste immer wieder in der Kartei zurückblättern, um sicherzugehen, nicht jemanden übersehen zu haben.
    »Wo bleibt denn der Bäcker?«
    »Der kommt später«, antwortete Grabbe.
    Walde blätterte weiter in der Kartei. Er konnte sich noch genau an zwei Gesichtspartien des Gesuchten erinnern: Mund und Wangenknochen. Die Augen des Mannes waren zwar noch präsent, aber hier war Walde sich nicht sicher, ob der Inkassomann bei einem entspannten Ausdruck vielleicht ganz anders aussah.
    Walde hatte sich für die große Datei entschieden, in der auch alle registrierten Personen aus dem Umkreis von etwa achtzig Kilometern um die Stadt enthalten waren. Grabbe blieb und versorgte ihn mit Kaffee.

Mittwoch, 04. Dezember
    Als der Bäcker kurz nach Mitternacht eintraf, hatte sich Walde bereits durch die Hälfte der Kartei gekämpft.
    »Ich hab’ Ihnen ein paar frische Weckmänner mitgebracht.«
    Grabbe nahm die Tüte entgegen.
    »Können die einen auch wach halten?« Walde blickte den Bäcker aus geröteten Augen an.
    »Mein Kollege fragt, ob die Weckmänner ihren Namen auch wirklich verdienen«, übersetzte Grabbe.
    Der Mann schaute irritiert:»Sie kennen doch Wecken. Aus dem gleichen Teig sind die Weckmänner.«
     
    Zwei Stunden später hatte Walde den dritten Weckmann verspeist und knabberte nun den Teig von der weißen Tonpfeife.
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