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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn
Autoren: Birgit Fiolka
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Prolog
    Das gleißende Licht der Mittagssonne fiel durch die Fensteröffnung und ließ den Staub der Straße gleich winzigen Flocken im Raum schweben. Es war ein schmuckloser Raum, die Wände in kühlem weißen Putz gehalten, auf den Böden nur einige Webteppiche und vor der Fensteröffnung ein Tisch aus Pinienholz mit einem zierlichen Stuhl, dessen einzige Extravaganz eine geschwungene Lehne war. Jener Stuhl war eines der wenigen Erinnerungsstücke, welche die Herrin dieses Raumes aus ihrer Vergangenheit zurück nach Megara begleitet hatten. An einem heißen Sommertag wie diesem hatte sie diesen Raum bezogen, hatte ihn mit den Erinnerungen ihres Lebens gefüllt, und an einem ebenso heißen Sommertag würde sie ihn verlassen – jenes letzte Heim in ihrem Leben, in dem es so viele Wohnstätten -  gute wie schlechte - gegeben hatte. Sie war damals alleine gekommen, doch in den folgenden Jahren selten allein geblieben auf ihrer Kline. Doch in der gedrückten Stille des frühen Mittags, durch den nur dumpf die Geräusche der Straße zu ihr drangen, an jenem letzten Tag ihres Lebens war sie erneut allein, und nur ihre Sklavinnen waren bei ihr.
    Bald würde dieser Raum bereit für eine neue Schicksalsgeschichte sein. In dieses Haus der geflüsterten Geheimnisse kamen nur die Müden und Gescheiterten -  jene, die ihre besten Zeiten bereits gelebt hatten. Hier lag das Ende ihrer Reise, verborgen unter muffigen Laken, aufdringlichen Duftessenzen und getrockneten Tränen.
    Von der Schlafkline in der Mitte des Raumes drang ein leises Geräusch. Sofort ließen die beiden Sklavinnen, wie sie es ihr ganzes Leben auf ein Zeichen ihrer Herrin hin getan hatten, von ihrer Arbeit ab und wandten sich ihr zu.
    Sie war alt geworden, müde und runzelig, trocken und staubig wie das Haus, und mit ihr waren auch ihre Sklavinnen gealtert.
    „Thratta, Kokkaline“, erklang die brüchige Stimme der Herrin, welche ihren melodiösen Klang nie ganz verloren hatte; wie der Nachhall eines schönen Festgesangs schien er das Bild des Alters und Zerfalls verhöhnen zu wollen.
    „Kommt und setzt euch zu mir, denn dieses ist der letzte Tag meines Lebens. Ich will ihn mit euch verbringen, die ihr mich besser kennt, als je ein Mann mich gekannt hat.
    Ihr seid die Einzigen, welche sich der großen Hetäre Neaira und der Frau, die ich stets bemüht war zu sein, erinnern werden. Denkt immer daran, wenn mein Leib zu Staub geworden ist und ich mich nicht mehr wehren kann, so oft sie meinen Namen auch mit Verachtung aussprechen.“
    Thratta schluchzte. Sie war schon immer die sanftmütigere und sensiblere der beiden Sklavinnen gewesen. Kokkaline nahm ihre Hand, wie sie es einst getan hatte als Thratta in die Dienste der Herrin gekommen war, und drückte sie. Dann gingen sie gemeinsam zur Lagerstatt und ließen sich neben ihr auf dem Boden nieder. Die Stille des Augenblicks war von einer Endgültigkeit gezeichnet, die vor allem Thratta nicht ertrug. „Sollen wir dir Früchte oder eine Schale Wein bringen, Herrin?“ Thratta hatte Mühe, ihre Stimme nicht zittern zu lassen. Die Herrin verneinte. Ihr Gesichtszüge waren von Zorn und Elend gezeichnet. „Warum soll ich mich quälen mit den Erinnerungen an guten Wein, Gesang und die Tage meiner Jugend. Wein würde mir den Abschied nur schwerer machen ... auch wenn er abgestanden und sauer ist, wie alles in diesem Haus. Er ist uns gemäß, dieser Wein! Wir alle, die wir hier leben, sind über die Jahre abgestanden und sauer geworden.“ Ihre Stimme bekam einen flehenden Klang. „Aphrodite, die du mir heißes Blut geschenkt hast!
    Wie grausam der Verfall für eine Frau wie mich ist, kannst nur du wissen.“
    Wieder schickte sich Thratta an zu schluchzen, doch Kokkaline stieß sie in die Seite. Es war schwer genug für die Herrin; Thratta sollte es nicht noch schlimmer machen.
    Endlich wandte die Herrin den Kopf und sah Kokkaline und Thratta in die Augen. Für einen Augenblick gewannen sie ihren alten Glanz und ihre Klarheit zurück. Es waren jene Augen ihrer Herrin, die Kokkaline noch immer einen Schauer über den Rücken laufen ließen. Sie allein waren dem Verfall des Alters entgangen. Noch immer waren die Augen der Herrin groß und braun. Sie wirkten sanftmütig und beinahe schutzbedürftig. Es waren Augen, die Männer um den Verstand gebracht und dazu verführt hatten, die Erfüllung ihrer Sehnsüchte in ihnen zu erhoffen. Viele von ihnen waren der Täuschung dieser Augen erlegen. Einige von ihnen hatten nie
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