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Inkasso Mosel

Titel: Inkasso Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Sitzen.
    »Was, dieses alte Modell hat schon elektrische Fensterheber?«
    »Stimmt«, antwortete Walde, »es hatte mal welche. Auf deiner Seite funktionieren sie nicht mehr. Ich kann die Heizung ausstellen, wenn du möchtest.«
    Walde schielte zu seinem Beifahrer. Der steckte die Packung wieder ein.
    »Alles in Ordnung zu Hause?«, fragte Walde, um seinen Kollegen von den Entzugserscheinungen abzulenken.
    »Ja«, brummelte Meier. »Wie immer.« Er blickte hinter sich auf die umgelegte Rückbank und die Zeitungen, die im wilden Durcheinander lagen: »Was macht die Renovierung?«
    »Ist noch viel zu tun«, antwortete Walde.
    Die Ampel auf der Römerbrücke zeigte Rot. Der Scheibenwischer beseitigte den dünnen Film aus feinem Niesei. Über den Bürgersteig wackelte eine Greisin, mit einer Hand einen leeren Rollstuhl vor sich her schiebend und mit der anderen ein Handy ans Ohr drückend.
    »Und bei dir, ist es bald soweit mit dem Nachwuchs?« Meier hatte sich auf eine höfliche Gegenfrage besonnen.
    »In drei Wochen ist Termin.«
    Damit endete der Small talk zu den Familienverhältnissen. Walde wusste, dass Doris ein Mädchen erwartete. Er hatte viele Bilder von Geburten im Kopf, von glitschigen kleinen Lebewesen, die ans Licht der Welt drängten. Aber seine Erwartungen waren diffus. Er dachte oft daran, konnte sich aber nicht vorstellen, wie seine Tochter tatsächlich aussehen würde. Als die Wagen vor ihm anfuhren, gab Walde Gas.
    Richter Harras wohnte mitten im Stadtteil Euren. Die düstere Einfahrt führte zwischen hohen Nadelbäumen hindurch zu einem Haus, vor dem sich ein Hügel aus Holzscheiten türmte. Daneben stand ein älterer VW Passat unter einem Carport.
    Walde hielt am Ende der Auffahrt. Links und rechts war gerade genug Platz um auszusteigen. Kinderwagen oder Rollstühle kämen nicht mehr vorbei. Aber damit war hier auch nicht zu rechnen.
    Er glaubte sich zu erinnern, dass Meiers Frau an Multipler Sklerose litt. Womöglich brauchte sie einen Rollstuhl. Verdrehte Welt, er konnte sich noch kein Bild von seiner Tochter machen, geschweige den Schmerz erahnen, den der Verlust des Kindes für ihn bedeuten würde, und sollte jetzt einem Mann die Nachricht überbringen, dass dessen Tochter tot war.
     
    »Guten Tag, Herr Dr. Harras«, hörte Walde seinen Kollegen sagen.
    Meier ging auf einen Mann zu, der eine leere Schubkarre hinter dem Wagen hervor schob. Der Mann war groß und hager. Das kurze weiße Haar stand wie eine Bürste von seinem Kopf ab. Er trug einen grauen Fleecepulli, eine verwaschene, ehemals schwarze Jeanshose und zu Arbeitsschuhen degradierte Wanderschuhe.
    Als Walde näher kam, erinnerten ihn die vorstehenden Augen hinter der dunklen Hornbrille daran, dass er ebenfalls schon persönlich mit dem Richter zu tun gehabt hatte.
    Harras stellte die Schubkarre neben dem Holzstapel ab. Er streifte die Arbeitshandschuhe ab und streckte Meier eine Hand entgegen.
    »Was verschafft mir die Ehre?«, sagte er mit einem Gesichtsausdruck, den man mit etwas Phantasie als ein Lächeln deuten konnte.
    »Kripo Trier, mein Name ist Meier und das ist mein Kollege, Herr Bock.«
    Auch Walde gab dem Richter die Hand.
    »Es ist zwar schon Jahre her, aber wir hatten öfter miteinander zu tun«, sagte Meier.
    Der Richter nickte: »Kommen Sie herein, meine Herren!«
    Walde folgte den beiden durch eine mit Zeitungsstapeln voll gestellte Diele in ein Zimmer mit einem schweren Esstisch aus Eiche, um den ein halbes Dutzend dunkler Stühle mit hoher Lehne standen.
    Dr. Harras wischte sich mit beiden Händen die Hose ab, bevor er sich auf den mit Gobelin bezogenen Stuhl am Kopfende setzte. Die beiden Polizisten nahmen nebeneinander Platz.
    »Was darf ich Ihnen anbieten?«, sagte der Richter.
    »Danke, bemühen Sie sich nicht«, sagte Meier und schaute Walde an, um ihm das Wort zu übergeben.
    »Wir haben leider eine sehr traurige Nachricht.« Walde beobachtete, wie der Richter mit der linken Hand den Kopf aufstützte, als befürchte er, der zu erwartenden Last nicht standhalten zu können. »Ihre Tochter … sie ist ums Leben gekommen.«
    Harras’ Schultern sackten ab. Es schien, als fahre alle Kraft aus seinem Körper. Walde hielt sich bereit, um dem Richter beizustehen, falls er ohnmächtig wurde. Harras’ Kinn senkte sich zur Brust. Er hielt die Augen offen und stierte auf die Tischplatte.
    »Sie wurde tot in der Wohnung gefunden«, fuhr Walde fort. »Ein Fremdverschulden ist sehr wahrscheinlich. Wir haben die
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