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Die beste Welt: Roman (German Edition)

Die beste Welt: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Welt: Roman (German Edition)
Autoren: Karen Lord
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    ZUVOR
    Wenn er sich in seine alljährliche Klausur zurückzog, sah er stets zwölf Tage dafür vor, Berichte und Analysen fertigzustellen; damit blieben ihm weitere zwölf Tage für alles andere. Früher hatte er törichterweise Orte ausgesucht, die in Kommunikationsreichweite seiner Dienststelle lagen, und das war ganz und gar nicht hilfreich gewesen. Es gab immer irgendeine Krise oder sonst einen Grund, seine Hilfe anzufordern. Mit zunehmender Erfahrung und gestiegenem Einkommen wählte er Orte, die immer weiter entfernt lagen, bis er schließlich auf entlegene außerplanetarische Tempelklöster verfiel, wo die vorgeschriebene Stille und Weltabgeschiedenheit nicht von den Bequemlichkeiten der Technik gestört werden konnte.
    Diesmal hatte er Gharvi gewählt, eine im Regenschatten eines Gebirgszugs gelegene Klosteranlage mit einem gewaltigen steinernen Tempel, um den sich kleine Holzhütten scharten. Parallel zu den Bergen erstreckte sich, Blickfang und Inspiration zugleich, ein endloses Meer, und dazwischen lud ein Strand nach beiden Seiten zu ausgedehnten Spaziergängen ins Nirgendwo ein. Bisweilen wurde von den »zwei Wüsten« gesprochen, denn Meer und Land waren gleichermaßen öde – grenzenlos das eine, schmal das andere, durstig alle beide.
    In seiner Heimat gab es eine ganz ähnliche Gegend, was vermutlich seine Wahl beeinflusst hatte, doch hier war der Himmel ohnegleichen. Die wolkenreiche Atmosphäre war wie bei allen frisch bioformten Planeten von einem schwachen Lavendelblau, und die Sonne war gleißend hell. Der Kontrast zu den kühlen, kräftigen Blautönen und dem milden Sonnenlicht seiner Heimatwelt war so stark, dass er in den ersten Tagen den Kopf gesenkt und seine Tür so lange geschlossen hielt, bis es dunkel wurde.
    Am zwölften Tag hatte er alle Arbeiten abgeschlossen und legte sein gut gefülltes Handterminal in die Kiste vor der Tür seiner Klause. Er kochte sich die abendliche Linsensuppe, aß sie, schlief die ganze Nacht tief und traumlos und wollte sich nach dem Aufstehen seinen Frühstücksbrei zubereiten. Vom Vortag hatte er noch etwas Wasser übrig (er ging immer sehr sparsam damit um), aber um sich auch noch waschen zu können, musste er die neue Tagesration aus der Kiste holen. Die Kisten der Eremiten wurden vor Tagesanbruch von jungen Akoluthen mit Wasser und Proviant bestückt. Die Wassermenge reichte aus, um sich sauber zu halten, den Solarkocher mit Haferbrei oder Suppe zu füllen und mit kleinen Schlucken den ständigen Durst zu stillen, der eine natürliche Folge der trockenen Luft und des Stillschweigens war. Die Akoluthen hätten auch das Terminal mitnehmen und den Inhalt an seine Dienststelle übermitteln sollen.
    Doch das Terminal lag noch da.
    Er stutzte. Ein solcher Bruch in der sonst so reibungslos ablaufenden Tempelroutine war verwirrend. Er starrte auf die unberührte Kiste hinab. Dann hob er den Kopf und blickte forschend zu dem niedrigen Tempelgebäude hinüber, das hinter einem Schleier aus Hitze, verwehtem Sand und sprühender Gischt nur in Umrissen zu erkennen war.
    Schließlich zuckte er die Achseln und ging zur Tagesordnung über, ein wenig staubiger, ein wenig durstiger als gewohnt, aber fest überzeugt, dass sich früher oder später eine Erklärung finden würde.
    Am nächsten Morgen weckte ihn das Geräusch des zufallenden Kistendeckels lange vor Tagesanbruch aus einem unruhigen, von Durstträumen gestörten Schlaf. Er wartete ein wenig, bevor er hinausging, die Vorräte hereinholte und tiefe Schlucke von dem Wasser nahm. Sein Terminal war nicht mehr da, dafür fand er eine doppelte Proviantration vor. Er versuchte gar nicht erst, den säumigen Akoluthen im Dunkeln zu erspähen. Schließlich war die Ordnung wiederhergestellt.
    »Dllenahkh, bei deiner hoch entwickelten Sensibilität und deinen Kräften musst du dich regelmäßig in Klausur begeben.« Das hatte ihm vor langer Zeit der Hospitarius seines Klosters erklärt. »Du bist unentwegt damit beschäftigt, überall Ordnung zu schaffen, sogar in dir selbst. In der Klausur wirst du immer wieder erfahren, dass du weder unentbehrlich bist noch ganz auf alle anderen verzichten kannst.«
    Im Klartext, du musst lernen, dich rauszuhalten. Einsatzbereitschaft ist wichtig, aber Abstand zu wahren nicht minder. Er beglückwünschte sich dafür, dass er allmählich die Fähigkeit entwickelte, seine Neugier in Zaum zu halten, und verbrachte die nächsten Tage in ungestörter Meditation und Betrachtung.
    Eines Tages
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