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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition)
Autoren: Peter Buwalda
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ein als Mathematiker arbeitender Judoka oder vielleicht auch ein Judo machender Mathematiker gegenüber, ein Mann jedenfalls, der von Wim Ruska über ruhelosen Jazz, Tokio 1964 und den Unterhaltungskünstler André van Duin zu Vorträgen über Primzahlen und Fermats letzten Satz wechseln konnte. Aaron erinnerte sich an einen Kurzfilm, in dem ein redseliger Naturwissenschaftler es vermochte, eingeschworenen Geisteswissenschaftlern wie ihm und seinem Bruder das Gefühl zu geben, sie wüssten nun in etwa, was Quantenmechanik ist. («Richard Feynman», sagte Sigerius später, «den hatten wir damals gerade zu Grabe getragen.») Er selbst rieb sich das stoppelige Kinn und erzählte von Computern, vom Weltall, von Maurits Escher, als wäre es verschwendete Zeit, jemals über etwas anderes zu reden. Offenbar hatte er Judokämpfe gegen Geesink und Ruska bestritten, doch in der Talkshow war er vor allem deshalb zu Gast, weil ihm die Fields-Medaille verliehen worden war, eine Auszeichnung, die van Ingen den Nobelpreis für Mathematik nannte.
    Danach hatte Sigerius sich zum nationalen Hätschelwissenschaftler entwickelt. Regelmäßig trat der Rektor nach einem Arbeitstag auf dem Campus in einer Nachrichtensendung oder bei Barend & Van Dorp auf, wo er Aktuelles wissenschaftlich kommentierte, funkelnd intelligent und zugleich merkwürdig volksnah, nie brachte er ein Wort Fachchinesisch an. Als Fotograf der Weekly war Aaron dabei gewesen, als Sigerius die Leitung der Universität übernommen hatte, und was seine Kamera sah, sahen alle: Das war der Mann, den die Tubantia brauchte. Indem er einfach nur der war, der er war, erlöste er ihre vernachlässigte, sanft eingeschlummerte Calimero-Universität aus ihrem provinziellen Twenter Wartestand. Bereits in seiner Antrittsrede versprach er, die Tubantia zur führenden Forschungsuniversität der Niederlande zu machen, ein Satz, der am Abend in den Hauptnachrichten gesendet wurde. Er war ein Medienmagnet: Sobald irgendwo das Wort «Universität» fiel, erschienen seine Blumenkohlohren im Bild und verkündete ihr Rektor im Namen ihrer Universität seine Meinung über die Wettbewerbsfähigkeit der universitären Forschung in den Niederlanden, über Mädchen und Technik, über die Zukunft des Internets oder was auch immer. Es kostete ihn auch keine Mühe, internationale Spitzengelehrte anzulocken. Vielleicht war es schade, dass die Fields-Medaille kein wirklicher Nobelpreis war, natürlich war es schade, doch seine Aura mathematischer Genialität verzauberte Geldgeber, die in Grundlagenforschung investieren wollten, zahllose Abgeordnete, die Forschungsmittel vergaben, Telekommunikationsriesen und Chiphersteller, die ihre Laboratorien im Umfeld der Universität errichteten. Und vielleicht verzauberte er sogar Schüler, schließlich kannten auch die sein stoppeliges Gesicht aus dem Fernsehen; und nicht zu vergessen die Jeunesse dorée, denn alle Jahre wieder mussten die Nervensägen ins Twenter Provinznest gelockt werden, und wie beschwört man Kinder, wie verhext man sie?
    Der Rattenfänger der Tubantia mit bloßem Gemächt. Er sagte: «Gute Arbeit», und ließ Aarons Hand los.
    Das Foto war an einem Sonntagnachmittag in Houten aufgenommen worden, gleich nachdem die Varsity ausgetragen worden war, die traditionelle Studentenregatta mit Booten aller Universitäten. Blaauwbroek, der Chefredakteur der Weekly , hatte Aaron prophezeit, dass etwas Außergewöhnliches passieren werde: Das Tubantiaboot hatte einen olympischen Einer-Ruderer an Bord und einen Mann, der mit dem Holland-Achter in Atlanta antreten würde. Trotzdem war es bemerkenswert, dass ein Rector magnificus seinen freien Tag opferte, um sich in einem Reisebus voller trinkender Corpsstudenten zum Amsterdam-Rhein-Kanal bringen zu lassen. Während der unwichtigen Rennen beobachtete Aaron ihn aus dem Augenwinkel, zwischen Theke und hölzerner Tribüne im feuchten Gras des Vordeichs, in Gesellschaft eines rat pack von Berufsstudenten, den Siem-Sagern, dem klassischen Studententyp, der alles tat, um den Rektor für sich einzunehmen. Sigerius schien Gefallen an den Jungs zu finden. Er hatte sie aus ihren Häusern in der Stadt gelockt, sie waren zum Campus ausgeschwärmt, bemüht um studentische Aushilfsjobs in der Verwaltung oder bei der Studentenberatung, ihre Einladung zu Sigerius’ alljährlicher Grillparty im Garten seines Bauernhofs kosteten sie in vollen Zügen aus. Aaron verspürte Neid. Spielte der Mann Theater, oder war er
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