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Unternehmen CORE

Unternehmen CORE

Titel: Unternehmen CORE
Autoren: Paul Preuss
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MARRAKESCH, 1985
     
    Leiden Hudder hielt seinen gemieteten Land Rover vor dem Eingang zum Hotel. Ein vornehm gekleideter Kerl in einem langen taubengrauen Rock und Militärmütze kam angerannt und riß die Tür auf, noch bevor er aussteigen konnte.
    »Vous restez ici, monsieur?«
    »Ja, oui, sobald ich mich eingetragen habe.«
    In das herumlungernde Dienstpersonal kam Bewegung. Eine Gruppe von Gepäckträgern mit Gamaschen, rosaroten Schärpen und Fezen löste sich aus dem Schatten des Säulengangs und umlagerte das Fahrzeug; einer von ihnen wollte nach Leidys Büchertasche aus Segeltuch greifen.
    »Die Tasche nehme ich – ihr könnt die auf dem Rücksitz haben.«
    In der Markise aus Bleiglas und Schmiedeeisen, die so verziert war wie die alte Pariser Metro, spiegelte sich die zerknitterte khakifarbene Arbeitskleidung Leidys, während er die weißen Marmorstufen emporschritt. Durch gekachelte andalusische Bögen betrat er die schattige Lobby. Gepäckträger, die neben seiner drahtigen Gestalt wie Zwerge wirkten, rannten lautlos hinter ihm her.
    Zehn Minuten später befand er sich bis über sein bärtiges Kinn im Badeschaum – in einer Wanne, die lang genug war für seine langen müden Knochen. La Mamounia war ein rosafarbener Palast in einem tropischen Garten, an der mittelalterlichen Stadtmauer errichtet; sein Zimmer, das billigste, das hier zu haben war, kostete ihn dreihundert Dollar die Nacht. Die Rothschilds und Rockefellers waren hier gewesen. Winston Churchill, Rita Hayworth, Erich von Stroheim, französische Intellektuelle – eine armlange Liste – waren ebenfalls hier abgestiegen. Jeder, der seit 1923 etwas darstellte, hatte hier gewohnt. Es gab viele andere Plätze in Marrakesch, von billig-dreckigen bis hin zu den neuesten und aufgemotzten, Leidy allerdings bestand auf dieser Adresse. Die Wanne allein war den Preis wert. Außerdem konnte er es von der Steuer absetzen.
    Er kletterte aus dem Bad, wickelte sich in ein dickes rosarotes Handtuch und verbrachte Minuten vor einem Spiegel, währenddessen er sich nachdenklich mit einem Rasierer seinen Bart abnahm. Er schaute auf seine Uhr und setzte sich dann, noch immer in das Handtuch gewickelt, vor das Fenster. Aus seiner Büchertasche holte er Aktenordner und breitete sie auf dem Tisch aus.
    Personalakten. Karten.
    Er warf einen Blick auf die Akte mit dem Namen Ahmed Alaoui, der es mochte, wenn er als Colonel angesprochen wurde. Der Mann war siebenundvierzig Jahre alt, ein entfernter Verwandter des Königs, Offizier der Luftwaffenreserve, einige Zeit lang Untersekretär im Ministerium für Energie und Bergbau, gegenwärtig Aufsichtsratsmitglied der Royal Moroccan Mineral Corporation. Ausbildung im Westen, technische Fachrichtungen: in Paris das Bakkalaureat, in Harvard den MBA. Ein konservativer Moslem, kein Fanatiker.
    Das wichtigste Produkt der Royal Moroccan Mineral Corporation war Rohphosphat; nicht zufällig hatte Alaouis Familie Besitzansprüche und Rechte auf phosphatreiches Land. Die Rohstoffpreise für Phosphat fielen seit langem; der Weltmarkt für Sprengstoff gab nach. Zum Glück für ihn basierte das Vermögen des Colonels auf diversen anderen Geschäftsbereichen.
    Leidy schloß die Akte und betrachtete die nächste; sie enthielt computervergrößerte Satellitenfotos. Einige waren mit Transparentfolien belegt, geologische Karten mit gestrichelten Linien und schraffierten Flächen – der Balkan, das nordwestliche Sibirien, Westkanada. Einige Aufnahmen von Marokko. Leidy bewahrte die Folien für sie in einer anderen Akte auf, zusammen mit Karten, die er selbst mit feinen Stiften koloriert hatte.
    Die meisten Akten legte er in die ausgebleichte Segeltuchtasche zurück. Die wenigen, die übrig blieben, ließ er in den Umschlag aus spanischem Leder gleiten, den er für geschäftliche Angelegenheiten reserviert hatte. Als er mit seinen Vorbereitungen fertig war, brachte der Junge seinen gereinigten und gebügelten italienischen Anzug – gerade rechtzeitig.
     
    Eine Stunde später stand Leidy vor einer wettergegerbten Holztür, die in eine Lehmziegelmauer eingelassen war. Hart ließ er den eisernen Türklopfer gegen das Holz fallen. Ein kleines vergittertes Fenster wurde aufgeschlagen und schloß sich wieder. Die Tür wurde von einem weißgekleideten Diener geöffnet, dessen zerfurchtes Gesicht so schwarz war, daß es im Schatten blau erschien; gestenreich komplimentierte er ihn hinein. Die Finger des Mannes waren unnatürlich lang, seine
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