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Unternehmen CORE

Unternehmen CORE

Titel: Unternehmen CORE
Autoren: Paul Preuss
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Bewegungen glichen einem Tänzer oder einem Stummen, der sich durch Gesten verständigte.
    Leidy trat über die Schwelle. Die Geräusche der Straße – das Hupen der Autos, das Kreischen der Taxis, die Schreie der Träger, die ihre Karren zogen – verstummten so vollständig, als sich die Tür hinter ihm schloß, daß er einen Moment lang die Orientierung verlor. Er schritt weiter, durch einen schattigen Bogengang und ein mit reichem Schnitzwerk versehenes Tor aus Zedernholz. Im gefliesten Innenhof ergoß sich ein Wasserstrahl in ein marmornes Brunnenbecken.
    Der Schwarze in der weißen Kleidung führte ihn durch den ersten Hof zu einem zweiten, in dem blühende Zitronenbäume standen. Ihr Duft hing zart in der Luft. Mit einer weiteren ausdrucksstarken Geste bedeutete er Leidy zu warten, dann eilte er geschmeidig davon und verschwand unter einer schattigen Arkade. Leidy war alleine im duftüberströmten Garten; er achtete auf den Gesang der Vögel – und das leise Flüstern von Stimmen, das Klingeln der Telefone, das Summen von Fax-Geräten, die aus für ihn unsichtbaren Räumen tönten.
    Alaoui erschien. Er trug einen Anzug und eine Krawatte, deren Muster der Krawatte Leidys nicht unähnlich war. »Dr. Hudder, ich danke Ihnen für Ihren Besuch.« Lebhaft schüttelten sie sich die Hände. »Bitte, hier entlang …«
    Alaoui saß seinem Gast gegenüber an einem niedrigen runden Tisch, auf dem sich ein schweres silbernes Teeservice befand. Seine Gestalt verschwand im beschatteten Bereich vor glitzernden Mosaikstrukturen, deren abstrakte Muster auf roten, goldenen, blauen und weißen Fliesen im Sonnenlicht leuchteten, das durch die Bögen hereinfloß.
    Leidy öffnete die Hand und ließ ein Dutzend schwarzer Kiesel über die glänzende Zitronenbaum-Tischplatte gleiten. »Sehen nicht besonders aus …«
    »Klären Sie mich auf, Dr. Hudder. Ich bin kein Geologe.« Alaouis Tonfall verriet weder Enttäuschung noch besonderes Interesse an den staubigen Felsstücken. Sein Gesicht – voll, mit einem harten Zug um den Mund und hervorstechender Nase, die durch die tiefliegenden braunen Augen noch hervorgehoben wurde – glich eher einem Banker und nicht einem Wüstenscheich. Leidy wünschte sich, er könnte den Gesichtsausdruck des Mannes besser verstehen.
    Leidy saß auf den gestickten Kissen einer Bank, die in die Wand des hohen offenen Raumes gebaut war. Ein Ehrenplatz, trotz der stechenden Sonne. »Das Zeug hier«, sagte er, »besitzt die Farbe und Struktur von Kohle.« Er rieb einen der Kiesel zwischen Daumen und Zeigefinger; er zerrann zu dunklem Pulver, das seine Haut schwärzte.
    »Sie haben ein Kohlevorkommen entdeckt?«
    »Es ist Graphit, keine Kohle. Es stammt vom Rif. Aber betrachten Sie sich die Form.« Mit dem Fingernagel stieß er einen der Kiesel an. »Wie zwei Pyramiden, Basis an Basis.«
    »Seltsam.«
    »Ein Oktaeder. Die charakteristische Gestalt von Naturdiamanten.« Leidy begann einen Vortrag, den er aus langjähriger Praxis routiniert wiedergab. »Diamanten bilden sich normalerweise hundertfünfzig Kilometer tief im Erdmantel, wo die Temperaturen beinahe zwölfhundert Grad Celsius betragen. Die Frage ist: Wie kommen sie an die Erdoberfläche? Der Druck nimmt zur Oberfläche hin rapide ab, wenn jedoch der Druck nachläßt, die Hitze allerdings gleich bleibt, wird aus den Diamanten wieder Graphit. Lange Zeit glaubte man, daß nur vulkanische Explosionen Diamanten schnell genug nach oben bringen können, ohne daß sie sich in Graphit umwandeln – in Lavaladungen steigen sie direkt durch die Erdkruste, wie ein Geschoß, das harte Panzerung durchschlägt. In Südafrika wurde zum ersten Mal diese These aufgestellt. In den Kimberley-Minen wurden bislang zwanzig Millionen Karat an Diamanten gefunden. Deswegen nennt man solche vulkanischen Vorkommen Kimberlite-Röhren.«
    Alaoui kaute Mandeln, die in einer Schale auf dem Tisch standen. »Also, kein Kohlevorkommen. Sie haben eine Kimberlite-Röhre gefunden.«
    »Nein. Wenn es solche Röhren gäbe, hätte man sie schon vor Jahrzehnten entdeckt. Ich bin auf etwas viel Interessanteres gestoßen.«
    »Fahren Sie fort.«
    »Das Atlas-Gebirge gehört wahrscheinlich zu den spektakulärsten Gebirgsauffaltungen der Erde, ineinandergeschobene Brocken von Kontinenten und Meeresböden, die bis zum Präkambrium zurückreichen. Stellen Sie sich eine urzeitliche Meeresbodenplatte vor. Die Vorgänge liefen damals ziemlich schnell ab. Die Platte schiebt sich unter einen Kontinent
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