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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst
Autoren: Chevy Stevens
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nachzudenken, und mein Herz pochte laut in den Ohren.
    »Dr. Lavoie?« Heathers blaue Augen spiegelten ihren Kummer und ihren Schmerz. »Glauben Sie, dass es mein Fehler ist, dass mein Baby gestorben ist?«
    Ich brauchte eine Sekunde, um meine Gedanken neu zu sammeln. Du hast eine Patientin, die deine Hilfe braucht.
    »Nein, ich denke nicht, dass es Ihre Schuld ist. Sie haben die Entscheidung getroffen, die Sie für die beste für Ihr Kind hielten – Sie beide waren einfach nur gute Eltern.« Ich redete noch ein paar Minuten weiter und hörte zu, wie die ermutigenden Worte aus meinem Mund kamen. Doch die ganze Zeit über war mein Kopf von einem dumpfen Tosen erfüllt – dem Geräusch, das entsteht, wenn das Schicksal und das Leben aufeinanderprallen. Ich konnte ihnen unmöglich erzählen, dass ich Aaron Quinn kannte.
    Ich wusste genau, wer er war.

2. Kapitel
    Mit fünfundzwanzig machte ich an der Universität von Victoria meinen Abschluss. Ich hatte gelernt, mit engen Korridoren und Treppen klarzukommen, meistens, indem ich ihnen auswich. Während der Abschlussprüfungen jedoch waren alle Parkplätze im Freien besetzt, und dieses eine Mal war ich gezwungen, in der Tiefgarage zu parken. In dem dunklen Gewölbe wurde ich von Panik überwältigt und schaffte es nicht, den Fahrstuhl zu betreten, also lief ich den ganzen langen Weg außen um das Gebäude herum. Ich hyperventilierte beinahe, und mein Haar war völlig nassgeschwitzt, so dass alle Studenten, an denen ich vorbeikam, mich anstarrten. Ich kam zu spät zur Prüfung, die Tür war bereits geschlossen, und ich fiel in diesem Kurs durch. Es war eine demütigende Erfahrung, und kurz darauf begann ich eine Therapie.
    Als ich mit dem Therapeuten über meine Kindheit sprach, vertraute ich ihm an, dass meine Mutter mit mir und meinem Bruder in eine Kommune gezogen war, als ich dreizehn war. Die Kommune, die von einem Mann namens Aaron Quinn geleitet wurde, hatte sich am Ufer des Koksilah-Flusses am Rand von Shawnigan Lake eingerichtet, einer kleinen Gemeinde etwa dreißig Minuten nördlich von Victoria an der Südspitze von Vancouver Island. Wir lebten acht Monate dort, bis mein Vater kam, um uns zu holen.
    Mein Therapeut war von dieser Periode meines Lebens ganz fasziniert und wollte sie näher untersuchen, vor allem, weil ich nicht genau benennen konnte, wann meine Klaustrophobie entstanden war. Doch ich erinnerte mich deutlich daran, wie kompliziert mein Leben dadurch wurde, als wir wieder zu Hause waren. Ich schlief mit einem Nachtlicht und bei geöffneter Tür – ich konnte nicht einmal den Stall ausmisten, ohne zu hyperventilieren, und Robbie, mein Bruder, musste diese Aufgabe für mich übernehmen.
    Mein Therapeut war der Ansicht, meine Klaustrophobie deute auf ein verdrängtes Trauma hin, auf irgendetwas, das in dieser Kommune geschehen war, und schlug vor, wir sollten es mit Hypnose versuchen, um an meine vergrabenen Erinnerungen heranzukommen. In jener Zeit waren solche Therapiemethoden sehr beliebt, in denen es darum ging, verschüttete Erinnerungen freizulegen, und er hatte das Gefühl, dass es für mich der beste Weg sei. Zuerst hatte ich gezögert – schmerzhafte Erinnerungen hatte ich bereits mehr als genug.
    In einer Familie wie der meinen heranzuwachsen war nicht leicht gewesen. Mein Vater, ein pingeliger Deutscher, war schwer zufriedenzustellen und leicht zu verärgern. Sein Zorn schlug häufig in Gewalt um, und mein Bruder und ich verbrachten einen Großteil unserer Kindheit damit, uns zu verstecken, während er betrunken Amok lief, seine gewaltigen Fäuste in die Fenster hieb oder unsere Mutter verprügelte. Wenn wir dazwischengingen, schrie sie nur, wir würden es noch schlimmer machen. Er arbeitete auf einem Fischkutter, und meine Mutter, die unausgeglichen war, wenn er da war, geriet völlig außer Kontrolle, wenn er weg war. Entweder war sie in übertriebener Hochstimmung, kaufte uns Geschenke, die wir uns nicht leisten konnten, und machte mit uns Ausflüge auf der ganzen Insel, oder sie schloss sich tagelang in ihrem Zimmer ein, zog die Vorhänge vor und versperrte die Tür. Sie drohte oft damit, sich umzubringen, die Tabletten schon in der Hand, während wir sie anbettelten, es nicht zu tun, bis sie uns schließlich die Pillen gab. Zu anderen Zeiten verschwand sie mit dem Truck, betrunken oder unter Medikamenteneinfluss, und kehrte erst am nächsten Morgen zurück. Heute würde ich sie als manisch-depressiv bezeichnen, aber damals wussten
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