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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst
Autoren: Chevy Stevens
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mit ihnen unternehmen, also haben sie aufgehört, anzurufen.«
    Ich war nicht überrascht, dass Heather alle Menschen außer Daniel abgewiesen hatte. Die Abkapselung von Freunden und Familie gehört zu den klassischen Symptomen bei Depression.
    »Was machen Sie beruflich, Daniel?«
    »Ich bin Zimmermann.« Das erklärte seine Statur und seine tiefe Bräune. Er lächelte, als er hinunter auf seine rauen Hände blickte. »Heather und ich kommen aus verschiedenen Welten, aber als wir uns begegnet sind, war sofort eine Verbindung da, die unglaublich tief ging. Keiner von uns hat je zuvor so etwas gefühlt.« Er sah mich an, als erwarte er Skepsis.
    Ich nickte ihm ermutigend zu.
    »Sie hatte gerade eine Trennung hinter sich«, fuhr er fort. »Ihr Ex war ein richtiger Mistkerl. Aber wir haben angefangen, zu wandern und zusammen Yoga zu machen. Es schien sie aufzumuntern.«
    Das war eine gute Idee gewesen. Bewegung ist eines der besten natürlichen Mittel gegen Depressionen.
    »Sie haben also schon Anzeichen für Depressionen bemerkt, bevor Sie heirateten?«
    »Ich dachte … Sie ist ein Mensch, der immer versucht, sich um alle anderen zu kümmern, also war es manchmal schwer einzuschätzen. Sie konnte plötzlich ganz still werden oder anfangen zu weinen, aber sie wollte mich nie beunruhigen, also wusste ich nie, was der Grund war. Als sie schwanger wurde, hat sie sich wahnsinnig auf das Baby gefreut. Sie hat schon Namen ausgesucht, Spielzeug gekauft …« Seine Stimme schwankte. »Ich weiß nicht, was ich mit dem Kinderzimmer machen soll und den ganzen Babysachen, die sie gekauft hat.«
    Meine Gedanken wanderten kurz zu Paul, wie er Lisas Zimmer in Erdbeerrot mit apfelgrünen Streifen gestrichen hatte, weil unser Kind anders sein und nach seinem eigenen Rhythmus leben sollte. Was sie auch getan hat, immer – ein Charakterzug, den ich bewunderte, bis sie mir davontanzte.
    »Immer eins nach dem anderen«, sagte ich, zu ihm ebenso wie zu mir. »Darüber können Sie sich später noch Gedanken machen.«
    »Wann kann Heather wieder nach Hause?«
    »Sie wurde ins Krankenhaus zwangseingewiesen, damit wir sie im Auge behalten können. Wir können sie nicht entlassen, solange sie noch eine Gefahr für sich selbst darstellt.«
    »Was, wenn sie versucht … Sie wissen schon.« Er schluckte hart. »Wenn sie es noch einmal versucht?«
    »So weit werden wir es hier nicht kommen lassen. Und wir werden sie erst nach Hause schicken, wenn sie stabil genug ist und draußen genügend Unterstützung hat.«
    »Kann ich sie sehen? Ich habe ihr ein paar Sachen von zu Hause mitgebracht.«
    Normalerweise handhabten wir die Besuchszeiten recht streng – in der Geschlossenen, in der jeder einzeln eingelassen werden musste, dauerte sie von vier bis neun Uhr. Vormittags duldeten wir gar keine Besuche, damit die Patienten an den Therapieprogrammen teilnehmen und wir unsere Visiten machen konnten. Doch er sah so verzweifelt aus, und ich dachte, es könnte Heather helfen, sich einzugewöhnen, wenn sie ihn sähe.
    »Im Moment ruht sie sich aus, aber Sie können ihr kurz hallo sagen.«

    Wir sprachen nicht, als wir mit dem Fahrstuhl zur geschlossenen Abteilung einen Stock höher fuhren. Daniel wirkte gedankenverloren, und ich war damit beschäftigt, meine Pulsschläge zu zählen und mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Seit Jahren litt ich unter Klaustrophobie, was meine Patienten vermutlich schockieren würde. Verschiedene Techniken halfen mir, die Angst in den Griff zu bekommen, von mentalen Bildern bis Atemübungen, doch jedes Mal, wenn ich hörte, wie sich die Aufzugtür schloss, musste ich mich zusammenreißen, um nicht auf den Panikknopf zu schlagen.
    Wir wurden in die Geschlossene eingelassen. Das Stationszimmer lag hinter Glas, und ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes war stets vor Ort. Auf der einen Seite der Station waren hochgradig gefährdete Patienten wie Heather untergebracht, auf der anderen diejenigen, die nicht mehr in dem Maße überwacht werden mussten. Sobald sich ihr Zustand weiter besserte, wurden sie in den nächsten Stock verlegt, wo sie mehr Freiheiten hatten.
    Die Krankenschwester durchsuchte die Tasche, die Daniel für Heather mitgebracht hatte, um sicherzugehen, dass sich nichts darin befand, mit dem sie sich selbst verletzen konnte. Sie nahm das Hochzeitsfoto aus dem Rahmen und zog den Gürtel aus dem Morgenmantel. Als die Schwester fertig war, führte ich Daniel in eine Nische im Eingangsbereich, wo sie etwas
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