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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst
Autoren: Chevy Stevens
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Antidepressivum. Doch irgendwann trifft sie dann das reale Leben mit voller Wucht.
    »Als Erstes möchte ich, dass Sie Ihre Medikamente wieder nehmen.« Meine Stimme klang unbekümmert: Kein Problem. Sie werden wieder gesund . »Wir fangen mit einer niedrigen Dosierung an und schauen, wie es Ihnen damit geht. In Ihrer Akte steht auch, dass Sie vor ein paar Jahren einiges durchgemacht haben.« Damals hatte sie zweimal versucht, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Beide Male hatte man sie in letzter Sekunde gefunden, doch jetzt, wo sie zu brutaleren Methoden übergegangen war, würde sie nächstes Mal vielleicht nicht so viel Glück haben.
    »Sie wurden damals an einen Psychologen überwiesen. Gehen Sie noch zu ihm?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich mochte ihn nicht. Wie geht es Daniel?«
    »Die Schwestern sagten, er sei die ganze Nacht hier gewesen und nur am Morgen kurz nach Hause gefahren, um Ihnen ein paar Sachen zu holen. Jetzt sitzt er wieder im Wartezimmer.«
    Heather runzelte besorgt die Stirn. »Er muss so müde sein.«
    »Ich bin sicher, dass Daniel vor allem möchte, dass Sie wieder gesund werden. Wir sind hier, um Ihnen dabei zu helfen.«
    Frische Tränen ließen ihre Augen noch blauer wirken, wie von Diamanten eingefasste Saphire. Sie war so blass, dass man jede Ader an ihrem Hals erkennen konnte, aber sie war immer noch betörend schön. Die Menschen glauben meist, schöne Menschen hätten keinen Grund, unglücklich zu sein. Doch oft ist genau das Gegenteil der Fall.
    »Ich will Daniel sehen«, sagte sie. Allmählich fielen ihr die Augen zu, die Anstrengung des Gesprächs zehrte die wenige Energie auf, die sie noch übrig hatte.
    »Ich werde vorher ein paar Worte mit ihm wechseln, dann sehen wir weiter, ob er Sie kurz besuchen darf.« Ich wollte ein Gespür dafür bekommen, in was für einer emotionalen Verfassung er war, damit er die Situation nicht noch schlimmer machte.
    »Hier drin können sie mich nicht finden.« Sie sagte die Worte in den Raum, als hätte sie vergessen, dass ich da war, und würde sich nur selbst beruhigen.
    »Wer, fürchten Sie, könnte Sie denn finden?«
    »Die sollen uns in Ruhe lassen, aber sie rufen einfach immer wieder an.« Sie zupfte an ihren Nagelhäuten herum, während sie sprach, und zog ein winziges Stück Haut ab.
    »Bedrückt Sie etwas?« In ihrer Akte stand nichts von Paranoia oder Halluzinationen, aber bei einer schweren Depression, unter der Heather offenkundig litt, kam es manchmal auch zu psychotischen Schüben. Wenn sie allerdings tatsächlich Probleme mit Menschen in ihrem Umfeld hatte, mussten wir das wissen.
    Sie begann erneut, mit den Zähnen an dem Verband zu zerren.
    »Das hier ist ein sicherer Ort«, sagte ich, »ein Ort, an dem Sie sich erholen können. Wir können jeden abweisen, von dem Sie nicht möchten, dass er Sie besucht, und die Station wird die ganze Zeit vom Sicherheitsdienst überwacht. Niemand kann zu Ihnen gelangen.« Falls es eine reale Bedrohung gab, wollte ich, dass Heather sich sicher genug fühlte, um mir zu erzählen, was los war. Aber auch, wenn es sich lediglich um eine Paranoia handelte, musste sie sich beschützt fühlen, damit wir sie behandeln konnten.
    »Ich gehe nicht zurück.« Es klang, als würde sie sich selbst warnen. »Die können mich nicht zwingen.«
    »Wer kann Sie nicht zwingen?«
    Mühsam öffnete sie die Augen und sah mich seltsam alarmiert an. Ich merkte, dass sie nachgrübelte, was sie mir gerade erzählt hatte. Angst, und noch etwas anderes, etwas, das ich noch nicht benennen konnte, schien regelrecht von ihr abzustrahlen und in mich einzudringen. Ich unterdrückte den Impuls, zurückzuweichen.
    »Ich muss Daniel sehen.« Ihr Kopf sackte nach vorn, und das Kinn sank auf ihre Brust. »Ich bin so müde.«
    »Warum ruhen Sie sich nicht etwas aus, während ich mit Ihrem Mann rede?«
    Sie rollte sich unter der blauen Decke in Embryonalstellung zusammen, das Gesicht zur Wand gekehrt. Trotz der Wärme im Raum zitterte sie.
    Mit kaum hörbarer Stimme sagte sie: »Er sieht alles .«
    Ich blieb an der Tür stehen. »Wer sieht alles, Heather?«
    Sie zog nur die Decke übers Gesicht.

    Als ich den Besucherbereich betrat, sprang ein hochgewachsener Mann mit dunklen Haaren auf. Selbst unrasiert, mit dunklen Schatten unter den Augen und einem zerknitterten Anzughemd, das ihm aus der ausgewaschenen Jeans hing, war Daniel ein attraktiver Mann. Ich schätzte ihn auf etwa Mitte vierzig, den Lachfältchen an seinen Augen und
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