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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst
Autoren: Chevy Stevens
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überhaupt nicht, dass es deine Schuld ist – niemand denkt das«, widersprach Daniel. »Sie versuchen nur, zu helfen, Liebste. Du hast das alles ganz wunderbar gemacht.«
    Heather weinte nur noch heftiger. Ihr Gesicht war ganz verzerrt.
    »Es hat mir nicht gefallen, dass sie uns immer gesagt haben, was wir machen sollen. Sie …«
    »Heather, hör auf – du weißt nicht, was du sagst.« Daniel warf mir einen hastigen Blick zu. Er wirkte besorgt und hilflos. »Sie haben Regeln, Dr. Lavoie, aber nur, damit wir uns auf die Workshops konzentrieren können.«
    Heather und Daniel waren sich offenkundig nicht einig über das Zentrum, doch sie wollte Daniel in meinem Beisein nicht widersprechen. Immer wieder huschte ihr Blick zu ihm. Ist es in Ordnung, wenn ich das sage? Liebst du mich noch?
    Dann sah sie ihn fest an und zog die Decke enger um sich. »Sie haben mir nicht erlaubt, mich von Emily zu verabschieden.«
    Es war bereits das zweite Mal, dass Heather den Namen Emily erwähnte.
    »Emily wollte nicht mit uns gehen, schon vergessen? Es gefällt ihr im Zentrum. Ich weiß, dass du sie vermisst, aber du musst dich um dich selbst kümmern, und um das Bab–«
    Heather prallte zurück, als hätte er sie geschlagen.
    Daniel sagte: »Ach Schatz, tut mir leid. Es war einfach die Gewohnheit.«
    Heathers Blick war erneut trüb und leer geworden. Sie ließ die Hände sinken, die Handflächen geöffnet – der Inbegriff einer Besiegten.
    »Es ist meine Schuld, dass ich das Baby verloren habe. Du bist mir böse.«
    »Es ist nicht deine Schuld, Heather – und ich bin dir nicht böse.« Und in einem Tonfall, der so liebevoll und traurig zugleich war, dass es mir im Herzen weh tat, fügte er hinzu: »Du bist für mich das Wichtigste auf der Welt.«
    »Sie haben gesagt, wir sollen bleiben. Sie haben gesagt, es sei besser für unser Baby – und vielleicht hatten sie recht. Ich habe dich überredet, wegzugehen, und jetzt ist das Baby tot.«
    »Heather, hör auf.« Daniel rieb ihren Rücken. »Sag doch nicht so etwas.« Er schob sein Gesicht dicht an ihres. »Hey, sieh mich an.« Doch Heather starrte nur mit ausdrucksloser Miene auf die Wand.
    Ich wollte nicht zu sehr drängen, vor allem, da Heather begann, sich zurückzuziehen, aber ich machte mir Sorgen, warum sie sich so sehr die Schuld für den Verlust des Kindes gab.
    »Warum wollten Sie das Zentrum verlassen, Heather?«
    Sie begann, hin- und herzuschaukeln, die Arme um den Körper geschlungen.
    »Sie sagten, alle Erwachsenen seien die Eltern des Kindes. Jeder hilft dabei, es aufzuziehen. Und es darf nicht einmal bei dir bleiben.«
    Ihre entsetzte Miene verriet deutlich, dass ihr das ganz und gar nicht gefallen hatte.
    »Im Zentrum glauben sie, dass es für das spirituelle Wachstum des Kindes besser ist, von vielen Herzen geliebt zu werden«, sagte Daniel. »Sie haben sehr gut ausgebildete Betreuer.«
    In diesem Zentrum schien ein strenges Regiment zu herrschen. Ich wandte mich an Heather.
    »Aber Sie wollten Ihr Kind mit niemandem teilen?«
    Sie nickte und schielte zu Daniel hinüber, der wieder Heathers Verbände anstarrte. Sie sah aus, als wollte sie sich noch mehr erklären, doch dann streckte sie den Arm aus und ergriff Daniels Hand. Er drückte sie kurz.
    »Ich glaube trotzdem, dass ich einen Fehler gemacht habe«, sagte sie. »Wir hätten bleiben sollen. Dann hätte ich keine Fehlgeburt gehabt.«
    »Woher wollen Sie wissen, dass Sie keine Fehlgeburt gehabt hätten, wenn Sie geblieben wären? Hat man Ihnen tatsächlich erzählt, Sie seien dafür verantwortlich?«
    »Sie haben nicht gesagt, es wäre unser Fehler«, sagte Daniel. »Sie haben sich nur Sorgen gemacht, dass Heather sich durch den Auszug überanstrengt hat.«
    Mit anderen Worten, sie hatten durchblicken lassen, dass es doch ihre Schuld war.
    »Wie nennt sich dieses Zentrum?«, fragte ich.
    Daniel richtete sich stolz auf und bog die Schultern zurück. »The River of Life Spiritual Center.«
    In einem verborgenen Winkel meines Bewusstseins klingelte es, gefolgt von einem unbehaglichen Gefühl in meinem Bauch.
    »Wer leitet es?«
    »Aaron Quinn. Er leitet auch alle Therapien im Zentrum.«
    Aaron Quinn. Er hat Aaron Quinn gesagt.
    Es konnte nicht derselbe Mann sein.
    Heathers Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. »Die meisten Mitglieder nennen es die Kommune.«
    Die Kommune. Ich hatte diesen Namen seit Jahren nicht mehr gehört. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder gehört. Ich starrte Heather an, versuchte
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