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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer
Autoren: Alexandra Kui
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Ausführungen. Meinhard hatte es sicherlich schwer, im Familienkreis zu Wort zu kommen, beachtet zu werden. Wir haben uns lieber dir zugewandt, besonders Papa und ich. Aber solche Dinge kommen in Tausenden Familien vor. Andere halten das aus. Viele Morde geschehen aus Eifersucht, doch die meisten Mensehen,an denen Eifersucht nagt, werden nicht zum Mörder. Was also ist bei uns schiefgelaufen? Was ist bei Meinhard schiefgelaufen?
    Eines ist sicher: Nach dem Kunstfehler in der Klinik hat er den Halt verloren. Seine Wahrnehmung ist grotesk verzerrt. Er sieht nur die eigene Tragödie - so groß ist seine Einsamkeit. Obwohl er den Mord bereut, tut er sich in erster Linie selbst leid, weshalb es für mich schwierig ist, Mitgefühl zu entwickeln. Aber ich weiß um den Anteil meiner Schuld an seinem Unglück. Nicht einmal im Augenblick seiner Abrechnung habe ich ihm Aufmerksamkeit geschenkt, sondern an dich gedacht. Und ich wünsche immer noch, Meinhard wäre tot und du am Leben.
    Ob du ihm verziehen hast? Mama hält jedenfalls zu ihm und besucht ihn so oft es geht, wie ich gehört habe.
    Ich wollte ja von St. Petersburg berichten. Inzwischen war ich schon zweimal dort, zusammen mit Marit, die mit dir im Kindergarten war. Meine Erkenntnis: Es gibt trotz allem weitaus größeres Elend als das eigene. Bevor sie mich, ausgerechnet mich, auf das Heer der Verzweifelten losgelassen haben, musste ich einen Kurs belegen. Das mache ich in letzter Zeit häufig, Kurse belegen: Ökonomie mit Marketing und Wirtschaftsenglisch an der Uni Bremen, Dirigieren an der Musikhochschule und so weiter. Ja, Dirigieren. Ich wurde gefragt, ob ich ein Jugendorchester leiten will, und habe zugesagt. Dirigenten stehen mit dem Rücken zum Publikum, also muss ich meine Scheu vor den Leuten nicht wirklich überwinden. Genial. Hätte ich eigentlich selbst drauf kommen können.
    An kurs- und ehrenamtfreien Tagen versuche ich, in der Werft morgens als Erste zu kommen und abends als Letzte zu gehen. Leider hat Hannes, der neue Konstrukteur, den gleichen Ehrgeiz. Er will unbedingt Teilhaber werden. Neulich sagte er, dass er von einem neuen Firmenlogo geträumt habe: Flecker & Krüss. Dukanntest Hannes Krüss bestimmt. Er war auf unserer Grundschule, eine Klasse über mir. Der Enkel von Albert Krüss.
    So lebe ich weiter, fülle die Leere, die dein Tod hinterlassen hat, mit Betriebsamkeit ... Nächsten Monat beginnt der Prozess gegen Meinhard. Birger glaubt, der Medienrummel wird entsetzlich. Hannes bleibt gelassen. Und unser Vater, ganz der Alte, genießt seine neue Liebe und versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn das alles mitgenommen hat. Gesundheitlich geht es ihm viel besser. Über seine Gefühle spricht er nicht. Zumindest nicht mit mir.
    Ich fürchte mich nicht vor der Verhandlung, jedenfalls versuche ich, mir das einzureden. In der Stadt weiß jeder, was passiert ist, und es gibt einige, die mich nicht mehr grüßen, weil ich einen Mörder zum Bruder habe. Das ist beschämend. Ich frage mich, ob ich im Gerichtssaal Mama begegnen werde. Und Hella. Sie soll zurück nach Mecklenburg gegangen sein.
    Weißt du was? Auf den Überresten der Austernkolonie hat der Ostwind bereits eine Sandbank aufgetürmt. Als ich Papa davon erzählte, sagte er, dass Scharhörn auf diese Weise entstanden sei. Wenn der Orkan vorbeigezogen ist, werde ich wieder nachsehen.
    Mit Glück wirst du noch vor mir eine Insel.
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