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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer
Autoren: Alexandra Kui
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»Du scheinst dich zu amüsieren.«
    »Stimmt. Ab einem gewissen Punkt amüsiert man sich prächtig. Weißt du, ursprünglich wollte ich dich leben lassen. Ich dachte, du verziehst dich zurück nach Berlin, sobald du dich bedroht fühlst. Da habe ich dich unterschätzt.«
    Plötzlich kommt Janne sich unendlich naiv vor. Sie will etwas erwidern, verhandeln, damit er seinen Plan umstößt. Doch ihr fehlen die Argumente. Was könnte jemanden berühren, der einen gewissen Punkt erreicht hat?
     
    Der Wagen wird langsamer. Vor ihnen erstreckt sich die Wingst, ein Waldgebiet. Janne erfasst, wohin es gehen soll: zum Deutschen Olymp. Der Gipfel dieses gut sechzig Meter hohen Hügels gehört seit zwei Jahren zum Familienbesitz, mitsamt einer heruntergekommenen Gaststätte und einem Aussichtsturm aus den Siebzigern, im Stil der Wachanlagen an der deutsch-deutschen Grenze.
    Ihr Vater hat das Anwesen gekauft, weil ihm der Name so gut gefiel. Daraufhin hat die Lokalzeitung ihn mit einer vierspalti-gen Gefälligkeitsreportage in Farbe belohnt, die seither in Gold gerahmt auf der Gästetoilette der Flecker-Villa hängt. Die Schlagzeile: »Paul Flecker kauft Deutschen Olymp«. Für die Wiedereröffnung des Restaurants will er einen Sternekoch gewinnen. Bis dahin fungiert der Olymp als Abschreibungsobjekt.
    Meinhard parkt seinen Geländewagen vor dem Gasthof. Noch bevor der Motor abgeschaltet ist, springt Janne aus dem Auto und läuft los. Lange braucht er nicht, um sie einzuholen. Er reißt sie zu Boden, wo sie anfängt, um Hilfe zu schreien. Sie schreit, solaut sie kann. Meinhard, ihr Bruder Meinhard, Arzt ohne Grenzen, rammt ihr seine Faust zuerst ins Gesicht, dann in den Magen. Der zweite Schlag raubt ihr die Luft zum Atmen, und ihre Schreie verstummen. Meinhard richtet sich auf und klopft Blätter und Erde von seinen Hosenbeinen.
    »Komm mit«, brüllt er und zerrt an ihr.
    Janne liegt zusammengekrümmt im feuchten Laub, die Hand in die Magengrube gepresst, und keucht. Ihre Lippen schmecken nach Blut.
    »Steh auf.«
    Sie kommt auf die Knie. Meinhard tritt ihr so fest in den Rücken, dass sie mit dem Gesicht auf der Erde aufschlägt. Ihre Zähne vergraben sich im weichen Waldboden. Meinhard lässt seine Schwester Dreck fressen. »Versuch's noch mal«, sagt er.
    Janne rollt auf die Seite. Er steht über ihr und betrachtet sie, hat keine Probleme mehr damit, ihr ins Gesicht zu sehen, während er sie malträtiert. Noch ein Tritt, in den Bauch, und gleich ein weiterer hinterher. Der Schmerz explodiert. Als ihr schwarz vor Augen wird, denkt sie: Das war dein Leben.
    Doch es geht weiter. Meinhard packt sie unter den Achseln und schleift sie zu dem verlassenen Gasthaus, was Janne aus einer kuriosen Distanz heraus wahrnimmt. Als würde sie nebenhergehen. Sie entziffert das Schild im Glaskasten neben dem Eingang: »Heute ist unser Ruhetag.«
    Er löst seine Umklammerung. Mit einer Hand fingert er einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und sperrt die Tür auf, mit der anderen hält er ihren Oberarm fest, obwohl sie keinerlei Widerstand leistet. Ehe er die Schlüssel wieder einsteckt, schlägt er ihr damit ins Gesicht. Er trifft die Wange. Am Arm und an den Haaren zerrt er sie über die Schwelle. Kalter Fliesenboden. Meinhard lässt von ihr ab und sperrt die Tür hinter ihnen zu. Dann zieht er seinen Parka aus und hängt ihn an einen vergoldetenGarderobenständer, neben einen Mantel, der ebenfalls ihm gehört. Anscheinend hält er sich öfter hier auf.
    Eine Weile geschieht nichts, außer dass der Schmerz in Jannes Magen dumpfer wird und ihre Wange anschwillt. Sie fragt sich, worauf er wartet. Er wirkt ein wenig aus dem Konzept gebracht.
    »Eigentlich wollte ich, dass es wie Selbstmord aussieht. Ich hätte dich nicht so zurichten dürfen«, murmelt Meinhard. »Ich sage dir, was ich vorhatte: Eine ordentliche Dosis Insulin, das macht gefügig und ist im Blut nicht nachweisbar, rauf auf den Turm und adieu. Aber ich habe mich hinreißen lassen. So eine Scheiße.«
    Er bringt sie in einen Saal. Durch eine schmutzige Fensterfront scheint die Sonne auf zerkratztes Eichenparkett. Staubpartikel wirbeln auf, es riecht nach Schimmel und kaltem Rauch. An der Wand sind Stühle aus rustikaler Eiche gestapelt, Tische stehen im Raum verstreut. In einer Ecke liegt eine Matratze mit einem Schlafsack. Dorthin bugsiert Meinhard seine Schwester.
    »Tut es weh?«, fragt er.
    Schweigend tastet Janne ihre Wange ab. Danach sind ihre Finger blutig. Er hat
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