Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blaufeuer

Titel: Blaufeuer
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
sogleich auf den Weg nach Cuxhaven gemacht.
    »Kommst du zur Alten Liebe? Ich glaube, hier gibt es gleich einen phantastischen Sonnenaufgang. Den könnten wir uns ansehen und anschließend zu Papa fahren.«
    Tickt der nicht mehr richtig?
    »Janne?«
    »Okay.«
    Nicht zu fassen. Sie geht Nacht für Nacht durch die Hölle, und ihr Bruder hat die Muße, Sonnenaufgänge zu genießen.
     
    Es ist ein milder Morgen. Meinhard steht auf der Galerie der Alten Liebe, aufs Geländer gestützt, und schaut elbaufwärts nach Osten, wo die Sonne das Wasser der Flussmündung in rotgoldenes Licht taucht. Jenseits liegt das schleswig-holsteinische Ufer: ein ferner Schatten im Dunst. Janne stellt sich neben ihn.
    »Da, schau dir das an«, sagt er, ohne sie anzusehen. »Ist das nichts?«
    Janne schweigt. Der Wind fährt ihnen durchs Haar. »Du sagst gar nichts«, stellt Meinhard fest. »Freust du dich nicht, dass es unserem Vater besser geht?« »Natürlich freue ich mich.« Aus heiterem Himmel umarmt er sie.
    Eine Viertelstunde später sind sie in seinem Wagen unterwegs. Meinhard hat das Radio eingeschaltet. Die Nachrichten laufen. Er sieht aus, als würde er aufmerksam zuhören.
    Janne holt tief Luft. »Weil ich dich nicht ans Telefon bekommen konnte, habe ich in der Hamburger Uniklinik angerufen. Sie sagten, du arbeitest dort nicht mehr.«
    »Das stimmt«, antwortet Meinhard.
    »Außerdem wollte Mama dich besuchen und hat wildfremde Leute in deiner Wohnung angetroffen.«
    Ihr Bruder blickt starr geradeaus. Er hat sie noch nicht ein einziges Mal angesehen. »Das tut mir leid für sie.«
    Die Nachrichten sind zu Ende, es folgt der Verkehrsfunk in maximaler Lautstärke. Zwölf Kilometer Stau vor dem Elbtunnel. »Scheiße«, sagt Meinhard, und es ist unklar, ob er damit den Stau meint oder die Tatsache, dass seine Heimlichkeiten aufgeflogen sind.
    »Und wo arbeitest du jetzt? Oder hast du noch keine neue Stelle angetreten?«
    »Nein«, sagt Meinhard in einem Ton, der weitere Fragen ausschließt.
    Gut hundert Meter vor ihnen springt eine Ampel auf Gelb.
    »Scheiße.« Er schlägt mit der Faust auf das Lenkrad und gibt Gas. Während sie mit stark überhöhter Geschwindigkeit die Kreuzung überqueren, geschieht, was Janne sich kurz zuvor so sehnlich gewünscht hat: Ihr Gehirn addiert Fakten, Erlebtes und Intuition - und spuckt ein Ergebnis aus. Verzweifelt prüft sie es nach, obgleich sie weiß, dass die Rechnung aufgeht. Daher wundert sie sich kaum, als Meinhard nicht den Weg zum Städtischen Krankenhaus einschlägt, in dem ihr Vater auf sie wartet.
    »Was passiert jetzt?«, fragt sie.
    »Jetzt bringe ich dich um.«
    Landstraße. Zu beiden Seiten Grünkohlfelder. Schweigend sitzen sie nebeneinander. Janne bringt keinen Ton heraus, obwohl sie durchaus etwas zu sagen hätte. Meinhard konzentriert sich aufs Fahren. Sie befinden sich auf einer Nebenstrecke Richtung Süden. Kaum Verkehr.
    »Gib mir dein Handy«, sagt Meinhard. Seine Stimme klingt besonnen wie immer. Auf die gleiche Weise hat er angekündigt, sie zu ermorden.
    Janne greift in ihre Jackentasche, in die sie die Pistole getan hat, bevor sie aus dem Haus ging.
    »Die Waffe habe ich dir vorhin an der Alten Liebe abgenommen. Hast du das nicht bemerkt?«
    Wie in Trance schüttelt Janne den Kopf.
    »Die Umarmung«, erklärt er.
    Sie fahren immer noch sehr schnell.
    Unvermittelt brüllt er sie an: »Ich sagte, gib mir dein Handy. Bist du taub?«
    Als sie nicht reagiert, beschleunigt Meinhard weiter. Hundertachtzig Stundenkilometer. Zweihundert. Schnurgerade verläuft die Straße durch flaches Marschland. Sonne von vorn. Als am Horizont ein Traktor auftaucht, huscht ein leises Lächeln über sein Gesicht, und er hält darauf zu.
    »Der arme Bauer wird gar nicht merken, wie ihm geschieht«, sagt er.
    Der Traktor ist auf ihrer Spur unterwegs. Falls der Fahrer sie im Rückspiegel registriert, wird er fest damit rechnen, dass sie ausweichen. Zweihundertzwanzig. Maximale Geschwindigkeit, der Motor dröhnt, das Material vibriert.
    »Ich zieh das durch, Janne.«
    Sekunden trennen sie vom Zusammenprall. Janne sieht, wie sich der Bauer zu ihnen umdreht, greift nach dem Handy und wirft es Meinhard in den Schoß. Er zieht auf die linke Spur. Inletzter Sekunde. Keine Handbreit trennt die Fahrzeuge voneinander. Im Vorbeirasen streift sie der schreckerfüllte Blick des Mannes auf dem Traktor. Meinhard lacht. Er schaltet Jannes Telefon ab und wirft es aus dem Fenster.
    Sie findet die Sprache wieder:
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher