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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer
Autoren: Alexandra Kui
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dieselbe Seite erwischt, die bereits ihre Mutter geohrfeigt hatte.
    »So schlimm kann es nicht sein«, sagt Meinhard. »Ein Witz verglichen mit den Qualen, die ich deinetwegen zu erleiden hatte.« Er zieht seinen Pullover hoch. Ein dicker Verband bedeckt Schulter und Brust auf der linken Seite. »Du hast mich neulich im Wald erwischt. Schießen konntest du schon immer besser als andere. Ein Schuss, ein Treffer. Hut ab, Janne Flecker. Und so nah am Herzen. Ich musste das Geschoss operativ entfernen. War eine ziemliche Sauerei, wie du dir denken kannst. Das war nicht die Art Jagdunfall, die ich mir vorgestellt hatte.«
    Janne fragt sich, ob er nun nicht mehr vorhat, sie umzubringen, da sein Gewaltausbruch unverkennbare Spuren auf ihremKörper hinterlassen hat. Sie kauert auf der Matratze, lehnt mit dem Rücken an der Wand. Er zieht einen Stuhl heran, auf dem er Platz nimmt. Fast wie beim Krankenbesuch.
    »Kannst du nicht reden?«, herrscht er sie an.
    Sie könnte, aber sie will nicht. Wozu? Er ist durchgeknallt, das steht fest. Sie wird ihn kaum therapieren können. Und um Gnade flehen wird sie nicht. Sie muss an die Bracke von Kapitänleutnant a. D. Henry Glüsing denken. Wieso hat der Hund Meinhards Blut nicht gewittert? Wäre er abgerichtet gewesen, hätte er die Fährte bis zum Umfallen verfolgt, und mit etwas Glück wäre Meinhard gestellt worden.
    »Na los, stell deine dämlichen Fragen«, sagt Meinhard.
    »Welche Fragen?«
    »Willst du nicht wissen, warum ich Erik ermordet habe und ob ich es bereue?«
    »Nein. Ich will dein krankes Gefasel nicht hören.«
    Er schnellt vor und ohrfeigt sie, beidseitig diesmal. Ihr Kopf dröhnt. Sie sollte anfangen, sich zur Wehr zu setzen. Aber wie? Meinhard ist um so vieles stärker als sie. Und hier gibt es nichts, was sie als Waffe benutzen könnte, höchstens einen der Stühle.
    Schließlich hat sie doch eine Frage. »Woher wusstest du, dass Erik zur Austernzucht fahren würde und nicht Papa?«
    »Er hat es erwähnt. So nebenbei. Wir haben oft telefoniert. Erik war irgendwie der Meinung, mit mir stimme etwas nicht, und hat mich ständig angerufen. Sein Pech. Als Arbeitsloser kommt man auf die verrücktesten Ideen und hat auch noch Zeit, sie in die Tat umzusetzen. Ich hätte es aussehen lassen können wie einen natürlichen Todesfall, aber das wollte ich nicht. So mussten alle erkennen, dass nicht jeder Erik geliebt hat. Dass er hassenswert war.«
    »Nein, das war er nicht, und das weißt du. Er war groß, genau wie unser Vater. Warum hältst du nicht einfach den Mund undschämst dich? Ich will nicht weiter mit dir reden«, sagt Janne und merkt, wie ihr Tränen in die Augen schießen. Ausgerechnet hier, in dieser Ruine von Haus in der Gewalt dieser Ruine von Mensch, fordert die Trauer um Erik neuen Tribut. Nichts anderes ist mehr wichtig. Sie will aufstehen, doch Meinhard lässt es nicht zu. Janne vergräbt ihr Gesicht im Schlafsack und schluchzt. »Na los, gib mir den Gnadenschuss mit Papas Walther. Falls du triffst.«
    »Du wirst mir jetzt zuhören«, befiehlt er mit brüchiger Stimme. »Irgendjemand aus dieser Familie wird doch wohl bereit sein, mir zuzuhören. Alles, was ich will, ist ein bisschen Respekt.«
    »Wir haben dir jede Menge Respekt entgegengebracht.«
    Er lacht bitter. »Ja, weil ich Arzt war. Zu blöd, dass ich im OP diesen einen Fehler gemacht habe. Sonst wäre ich vielleicht Chefarzt geworden irgendwann.«
    »Du hast einen Kunstfehler begangen? Und dabei ist jemand gestorben?«
    »Ja, verdammt. Aber das macht mir nichts mehr aus. Auf diese Weise habe ich festgestellt, wie wenig es mich juckt, einen Menschen auf dem Gewissen zu haben. Und so konnte ich tun, was ich mir schon als Kind gewünscht habe, zumal sich diese wunderbare Gelegenheit ergab, als er mir von seinen Eheproblemen erzählte und nebenbei noch die Sache mit der kaputten Boje erwähnte. Eigentlich lief alles super. Wärst du mir nicht in die Quere gekommen, hätte ich die Werft übernehmen können, und Papa hätte nie geschnallt, was für ein Versager sein Chirurgensohn ist. Was hat ihn bloß dazu getrieben, dich zu Eriks Nachfolgerin zu machen?«
    Janne schreit ihn an. »Sei still. Sei endlich still.«
    »Als du von Eriks Tod erfahren hast, hast du dir da gewünscht, es hätte mich getroffen?«, fragt er.
    Sie sieht ihm ins Gesicht.
    Auch bei ihm laufen die Tränen.
    »Ja, das habe ich, und weißt du warum? Weil du nicht nur den miesesten Charakter der Welt hast, sondern auch den
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