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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer
Autoren: Alexandra Kui
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Gedanken taucht das Bild einer rostigen Falle auf, einer Fuchsfalle, wie ihr sie auf dem Gelände des Ferienhauses in Schweden benutzt. Plötzlich glaubst du, dich an ein schnappendes Geräusch zu erinnern, als wäre eine gespannte Feder zusammengeschnellt, Metall auf Metall geschlagen. Und dieser Eindruck fügt sich mit der Intensität des Schmerzes in deinergefangenen Hand zu einem furchtbaren Verdacht zusammen: Jemand hat es auf dich abgesehen, spielt ein perfides Spiel mit dir. Denn wie sollte eine Fuchsfalle versehentlich oder gar zufällig in eine Boje geraten? Es muss sehr mühselig gewesen sein, sie dort zu verstecken. Hast du zu diesem Zeitpunkt noch an einen üblen Streich geglaubt, oder wusstest du schon, dass es um Leben und Tod geht? Sicher ist dir der Begriff Mord nicht in den Sinn gekommen. Denn wer könnte dich so sehr hassen? Ausgerechnet dich - den bescheidensten und liebenswürdigsten Sohn, den die Familie Flecker seit Generationen großgezogen hat.
    Du willst es nicht wahrhaben, tastest mit den Fingern der verletzten Hand das Innere der Boje ab und fühlst einen Metallrahmen. Außerdem spürst du Blut. Der Schmerz ist dumpfer und somit erträglicher geworden. Ein Gefühl von Taubheit lässt die Finger erlahmen. Allmählich wird dir bewusst, dass du Hilfe brauchen wirst. Du greifst in die Tasche deiner Arbeitshose, willst das Handy hervorholen, aber da ist es nicht. Du hast es mal wieder auf dem Beifahrersitz liegen lassen. Wut, Angst und Schmerz bringen dich kurzfristig um den Verstand, und du schreist einfach los, schreist, so laut du kannst.
    Ich bin mir ganz sicher, dass du geschrien hast.
    Ich kann es hören, weißt du. Oft gehe ich ins Watt, wo deine Schreie sind. Irgendwann wirst du dich zusammengerissen haben. Du wirst nachgedacht haben, was du tun kannst, um dich zu befreien.
    Da stehst du also im warmen Wind. Du siehst dich um. In weiter Ferne, außer Rufweite, sind Menschen im Watt unterwegs, die du nur schemenhaft erkennen kannst: Wanderer auf dem Rückweg von der Insel Neuwerk. Die Flut kommt. Und spätestens jetzt wird dir bewusst, wie groß die Gefahr wirklich ist. Du bemerkst, dass die Boje so am Meeresgrund befestigt wurde, dass sie unmöglich mit dem Wasser aufsteigen kann. Damit ist auchklar, worum es geht: Draufgehen sollst du. Verbluten oder ersaufen, egal, Hauptsache langsam.
    Nun ist deine Wut größer als die Angst, sie übertrifft auch den Schmerz. Du wirst nicht kampflos krepieren. Jemand wie du gibt sich nicht auf. Du versuchst, die Falle zu kanten, aber jetzt, wo dein Arm darin gefangen ist, ist die Inspektionsluke eindeutig zu eng. Der Teufel flüstert dir einen Plan ins Ohr, den du nach kurzer Überlegung für den einzigen Ausweg hältst, und du zögerst nicht, ihn umzusetzen.
    »Manche Dinge muss man schnell erledigen, oder man wird es nie tun.« Diesen Satz, Originalton Paul Flecker, hast du gern zitiert.
    Leider ist es unmöglich, sich mit einem gewöhnlichen Taschenmesser schnell den Unterarm zu durchtrennen. Es liegt nicht an dir, du gibst wahrlich alles, schonst dich nicht, wirst ohnmächtig und kommst wieder zu dir, versuchst es weiter. Das Wasser steigt, dein Blut rinnt und färbt die See rosarot. Wie der Himmel. Die Sonne ist untergegangen, aber noch umgibt Licht deinen Kampf. Pastellfarben. Dein Sterben - weich gezeichnet.
    Du hast bis zum Schluss gekämpft. Stundenlang. Sie haben Wasser in deiner Lunge gefunden, was bedeutet, dass du ertrunken bist. Keiner von uns, die wir damit weiterleben müssen, wird jemals darüber hinwegkommen. Schon deshalb nicht, weil wir nun die ganze Wahrheit kennen.
    Nichts ist ohne Glanz, wenn das Meer die Sonne verschlingt. Und der Tod?

Meersalz
    JANNE
    Daran, wie er ihren Namen sagt, erkennt Janne, dass es ihm ernst ist. Viel zu ernst für ihren Geschmack, und sie beeilt sich mit dem Milchkaffee, um dem gemeinsamen Tag im sommerheißen Berlin ein schnelles Ende bereiten zu können. Zu viel Zucker. Beim Trinken sieht sie auf die Uhr, was ihm nicht entgeht.
    »Was ist los?«, fragt er. Er gibt sich ungezwungen, aber Janne registriert einen weinerlichen Unterton in seiner Stimme. »Nichts ist los. Aber ich will gleich heim.« »Kann ich mitkommen?« »Nein, besser nicht«, sagt sie.
    Er zögert den Augenblick des Abschieds hinaus, indem er seinen Erdbeerkuchen mit der Gabel in dermaßen winzige Stücke zerteilt, dass Janne ihn lachend fragt, ob mit seinen Zähnen alles in Ordnung sei.
    »Als Teenager hatte ich eine feste
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