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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl
Autoren: Chamäleon Cacho
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Eins
     
     
     
    Jeder, der schon einmal in einem Krankenhausbett erwacht ist, ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen ist, wird verstehen, wie ich mich fühlte. Jeder, der schon einmal die Augen in diesem betäubten Zustand aufgeschlagen hat, mit dem Schmerzmittel jedes Empfinden auslöschen, weiß, wovon ich spreche.
    So erwachte ich; ohne Körpergefühl und mit einem dumpfen Bewusstsein, das über dem reglosen Körper schwebte, ohne sich zur Landung durchringen zu können. Dazu die Geräusche eines gedämpften Streits in den Ohren und das vage Gefühl, einen Blitz gesehen zu haben.
    Ein Adrenalinstoß und eine sanfte Panik halfen mir, den Blick scharf zu stellen und den Fotografen zu sehen, der von einer Krankenschwester aus dem Zimmer geschubst wurde.
    »Journalisten …«, dachte ich und musste die Augen wieder schließen, weil sich das Zimmer zu drehen begann.
     
    Auf einmal sah ich ihn, als hätte ich ihn direkt vor mir. Lustlos stocherte er in den Lammrippchen auf seinem Teller und schnitt kleine Stücke ab, die er so lange in einzelne Fleischfasern zerteilte, bis ihm wieder einzufallen schien, warum wir dort saßen, dann schluckte er sie, ohne zu kauen, hinunter. Es hatte etwas Zwanghaftes. Die Worte flogen wie Tischtennisbälle hin und her.
    »Das Leben eines Journalisten bedeutet, Scheiße anzuhäufen, bis man daran erstickt. Und als Dank dafür gibt’s einen Tritt in den Hintern …«
    Sie bestellten zwei große Bier, nachdem sie angehalten hatten, um etwas zu essen. Einer der beiden kehrte gleich wieder zum Wagen unter den Scheinbuchen zurück, um eine halb volle Flasche Whisky zu holen.
    Wir waren nicht gerade zimperlich, als wir das Bier mit dem Zeug streckten, er aus seinen Gründen, ich aus meinen. Es war ein langer ermüdender Tag gewesen.
    »Es war ein langer Tag. Sehr lang und ermüdend …«
    »Wem sagst du das …«
    »Irgendwie muss man sich ja entspannen.«
    Ein Gespräch kam auf und versiegte wieder im Rhythmus, in dem das Whisky-Bier in den Kehlen verschwand. Der eine redete mit der Routine eines Betrunkenen, der an Monologe gewöhnt ist, und schien den Verlauf seines Schicksals korrigieren zu wollen, indem er mit der Gabel Kurven in die Luft malte. Ich hörte zu. Wir brauchten uns nun mal gegenseitig.
    »Das Leben ist eine große Scheiße, Kumpel.«
    Er sagte es mit einer solchen Überzeugung, dass ich in der Erwartung, ihn einen Revolver ziehen und sich mit einer Kugel den Kopf wegpusten zu sehen, den Blick hob; doch er verharrte einen Moment lang, den Zeigefinger zum Himmel gerichtet.
    Ich meinte, diese Geste zu kennen, sie an mir selbst schon so oft gesehen zu haben.
    »Das Leben ist ein Irrtum, Kumpel …«
    »Zur Hölle mit uns. Am besten fährt der, der nüchterner ist.«
    »Massenhaft Scheiße anzuhäufen, bis du einen Tritt in den Hintern bekommst … es ist überall dasselbe«, sagte einer von uns, wenn es überhaupt jemand sagte; denn ich erinnere mich nur daran, wie ich mit dem Finger zur Decke zeige, einen Fleischfetzen auf der Gabel.
     
    »Journalisten … du liebe Güte«, zischte eine wütende Frauenstimme; es war eine dunkle indianische Stimme, und langsam kam ich zu mir.
    Journalisten, dachte ich, und mit dem ersten ruhigen Atemzug kehrte ich in meinen Körper zurück. Da war etwas Vertrautes, und angestrengt versuchte ich, mir darüber klar zu werden, was von mir übrig geblieben war.
    Ich bin ebenfalls Journalist. Ich sträube mich zu sagen, dass ich einer war; das wäre, als würde man den anderen recht geben. Jahrelang hatte man um Anerkennung gerungen. Und wozu? Um selbst Gegenstand der Mitteilung eines Provinzblättchens zu werden.
    Ein Tourist, wahrscheinlich alkoholisiert, verliert auf glatter Fahrbahn die Kontrolle über sein Fahrzeug und stürzt in die Bajada de los Mallines – oder wie die grauenhafte Leere hieß, in die wir fielen. Eine fremde Umgebung, die dunkle Nacht et cetera … Das Übliche.
    Wir stürzten hinab, tiefer und tiefer …
    Der bittere Geschmack von aufsteigender Galle drang in meinen Mund. Ich saß ganz schön in der Tinte. Es würde mich meine letzten Pesos kosten. Denn plötzlich war mir wieder eingefallen, dass da noch ein anderer gewesen war; der Typ, den ich mitgenommen hatte.
    Im anderen Bett lag ein Patient. War er das vielleicht? Mit größter Anstrengung drehte ich meinen Kopf und sah zu ihm hinüber. Der Ärmste schien eine Art frisch einbalsamierte Mumie zu sein, den Körper in Verbände und Pflaster gehüllt. Das alles sagte
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