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Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott

Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott

Titel: Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
Autoren: Tamara Ramsay
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Dott
     
    Es war einmal zwischen den beiden
großen Weltkriegen ein kleines Mädchen, das hieß Dorothea.
    Es war zwölf Jahre alt und das Älteste
unter drei Geschwistern. Weil es aber so klein und zierlich war, wurde es im
ganzen Dorf nur die kleine Dott genannt: blond ist ihr Haar, die Augen sind
groß und graublau, und es gibt nicht viel, was der Aufmerksamkeit der Kleinen
entgeht. Klug und schalkhaft schaut sie in die Welt, aber ihr Blick kann auch
schnell wechseln zwischen Liebe und Zorn und Ungeduld und heißer Reue, ganz so,
wie es gerade im stürmischen Herzen der kleinen Dott sich regt.
    Dott lebte mit ihren Eltern und
Geschwistern auf dem Bauerngütchen ihres Vaters in einem Dorf, das Mellen
heißt, am Ufer des Rambower Sees in der Prignitz, dem allerwestlichsten Zipfel
der Mark Brandenburg. Also im Osten unseres Vaterlandes, direkt hinter der
Elbe.
    Es war ein bescheidenes Gütchen, klein
genug, daß sie es allein bewirtschaften konnten, und groß genug, daß sie keine
Not zu leiden brauchten — wenn alles gut ging.
    Seit dem Frühling aber lag das jüngste
Kind krank in seinem Bettchen. Mit schlaffen Gliedern ruhte es in den Kissen
und blickte teilnahmslos vor sich hin. — »Das Kind wird vielleicht niemals
gehen lernen«, dachten die Eltern besorgt, und sie beschlossen, noch länger zu
arbeiten, um dem Kinde alles zu verschaffen, was der Arzt verordnete, die
teuren Medizinen und die Behandlungen im Krankenhaus der fernen Stadt. Aber das
Gütchen war eben nur ein kleines Gütchen. Es konnte nicht mehr hergeben, als es
besaß, und die Eltern begannen mit Bangen an die Zukunft zu denken.
    Von den Mühen und Sorgen der Eltern
merkte die kleine Dott nicht viel. Sie war mit ihrem Leben immer ganz
einverstanden gewesen, so wie es war — bis der verhängnisvolle Abend der
Sonnenwende kam.
    An diesem Abend hatte die Mutter die
Strohmatten, wie es sonst nur im Winter geschah, von außen vor die Fenster der
Schlafkammer heraufgezogen, damit der Widerschein des Johannisfeuers die
Kleinen nicht im Schlafe störte.
    »Ich würde heute lieber bei den Kindern
bleiben«, dachte sie und seufzte. Es war ihr, als könnte sie sich nicht vom
Hause losreißen. Weil aber der Vater gewünscht hatte, daß sie die Johannisnacht
gemeinsam mit der Dorfgemeinde verbrachten, blickte sie endlich zum letzten
Male prüfend über die Betten.
    »Dott ist ja gescheit genug, daß sie
sich und den Geschwistern helfen kann, wenn es not tut«, überlegte sie. »Sie
weiß, wo die Medizin steht und wie sie zu geben ist. Es wird ja sicher alles
gut gehen — wenn es ihr nur nicht einfällt, irgendeinen ihrer Streiche
auszuführen!« fügte sie hinzu.
    Darauf seufzte sie noch einmal, löschte
die Kerze und schloß die Haustür hinter sich zu.
    Kaum aber hatte die Mutter den
Schlüssel im Schloß herumgedreht, als Dott sich vorsichtig in ihrem Bett
aufrichtete. Denn Dott schlief nicht. Die Mutter brauchte nicht zu denken, daß
sie sich so einfach ins Bett schicken ließ wie die kleinen Kinder!
    Die Uhr tickte, und die Fliegen summten
in der Stille. Es war heiß unter der niedrigen Balkendecke der Kammer, und Dott
hörte, wie das kranke Mummele schwer und mühsam in seinem Körbchen atmete und
wie Gerd sich unruhig unter seinem Federbett herumdrehte.
    Ein rötlicher Lichtschein drang durch
ein Loch in der Strohmatte vor dem Fenster und zeigte wie ein Finger gerade auf
das Zifferblatt der Uhr an der gegenüberliegenden Wand. Der Stundenzeiger stand
zwischen zehn und elf.
    »Ach, warum haben mir doch die Eltern
die Freude an diesem Abend verdorben!« dachte Dott, und die Tränen schossen ihr
in die Augen, als sie an dem Flackern des Lichtscheins erkannte, wie die
Flammen am See anschwollen und zusammenfielen.
    Nun mußt du aber wissen, daß die
Johannisfeuer eigentlich erst kurz vor Mitternacht entfacht werden sollen. Um
der Kinder willen aber wird am Rambower See das Feuer schon angezündet, bevor
die Sonne ganz hinter den uralten Opfersteinen, dem großen Dolmen von Mellen,
verschwunden ist. Denn bald darauf steigt der Nebelgeist aus dem sumpfigen
Ufergrund.
    Dott wußte natürlich, warum die Kleinen
vor Anbruch der Nacht so bald nach Hause eilen mußten. Im Mai jedoch war sie
zwölf Jahre alt geworden. Sie hatte darum fest damit gerechnet, daß sie nun wie
die anderen großen Kinder auch in der Nacht dabei bleiben durfte, wenn die
schönen alten Lieder gesungen wurden und die jungen Paare durch das Feuer
sprangen. Niemals konnte sie einsehen,
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