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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl
Autoren: Chamäleon Cacho
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mir, dass er schlechter dran sein musste als ich.
    Eine Blutprobe? Hatten sie womöglich eine Blutprobe genommen? Bestimmt, dann war ich erst recht beschissen dran.
    Ein paar Minuten erfüllte mich heftiges Selbstmitleid, und todessehnsüchtig sank ich in einen Dämmerschlaf.
    Um mich wieder zu fangen, versuchte ich, mir eine Vorstellung von dem Ort zu machen, an dem ich mich befand; dem Anschein nach handelte es sich um irgendein öffentliches Krankenhaus in einer Provinzstadt, vielleicht in der Nähe des Unfallorts. Im Krankenzimmer standen zwei Betten; in einer richtigen Stadt war damit kein großer Staat zu machen.
    »Na gut«, sagte ich mir, um festzustellen, ob ich überhaupt noch eine Stimme hatte. »Du bist am Arsch der Welt.«
    Nach und nach sollte sich meine Vermutung bestätigen. Das Krankenhaus stand einem Reservat von Mapuche-Indianern zur Verfügung, eingepfercht zwischen einem See und dem Andengebirge.
    Es befand sich in der Nähe der Bajada de los Mallines, dem Unfallort. Ich erfuhr außerdem, dass man uns, wenn wir irgendwie wichtig gewesen wären, im Hubschrauber nach Bariloche oder Neuquén gebracht hätte. Ich war unwichtig; es brachte mir nichts, mich daran zu erinnern, doch wenn ich es richtig einschätze, schadete es mir auch nicht. Man erlangt eine gewisse Gelassenheit, wenn man akzeptiert, dass man überflüssig ist im System; etwa so wie ein benutztes Gummi.
    Man hatte mir das Bett direkt neben der Tür gegeben, und Stimmen, die manchmal klar zu verstehen waren, drangen von draußen herein. Ich stellte mir vor, dass der Fotograf und der Schreiberling, der das Duo vervollständigte, Druck machten, damit man sie hereinließ. Doch ich täuschte mich.
    Eine Dicke mit Indianergesicht trat zu mir, um zu sehen, ob ich wach war, und versperrte einem Brünetten von der Provinzpolizei mit tumbem Gesichtsausdruck den Weg.
    »Können Sie sprechen?«
    Er hielt einen Notizblock in der Hand, und sofort war mir klar, dass er lieber weiter auf dem Revier Mate getrunken hätte.
    »Ja, ein wenig«, krächzte ich.
    »Gut …«, sagte er und räusperte sich. »Name?«
    »Carraspique. Carraspique, Manuel …«
    »Baske«, stellte er fest, als hätte er den gordischen Knoten durchschlagen.
    » …«
    »Haben Sie den Wagen gefahren?«
    »Ja …«
    »Aha … Beruf?«
    »Journalist.«
    »Aha.«
    Ich sah, wie er seine instinktive Abneigung zu verbergen versuchte, während sein Füller eifrig mehr mitzuschreiben schien, als meine Geschichte hergab. Ein Polizist in der Stadt lässt sich seinen Widerwillen nie anmerken; er ist geschickter.
    Als er mir die nächste Frage stellte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Leichte Übelkeit befiel mich, als ich feststellen musste, dass ich mich nicht erinnern konnte, wo ich wohnte. Das Einzige, was ich sicher wusste, war, dass ich unterwegs gewesen war, um ein paar Freunde zu besuchen und vielleicht einen Auftrag zu ergattern. Ansonsten gab es niemanden; keine Familie, nichts.
    Die Übelkeit sah man mir wohl an, denn der Polizist klingelte sogleich nach der Schwester, und die Dicke kam angerannt. Sofort übernahm sie das Kommando. Sie befahl dem Polizisten zu gehen, kontrollierte dann die Infusion, die Laken, meine Augen und andere, wie ich annahm, ebenfalls aussagekräftige Details. Der Polizist hatte sich zur Tür zurückgezogen, wollte aber nicht gehen.
    »Dieser Mann, ist er sehr krank?«, fragte ich flüsternd und versuchte, der Dicken zu verstehen zu geben, dass ich meinen Zimmernachbarn meinte.
    »Ja, sehr«, gestand die Dicke ein, und hinter ihrem furchtlosen Indianerinnengesicht schien ein Gefühl aufzuflackern. »Und jetzt seien Sie still, Sie sollen nicht sprechen.«
    »Ich will es wissen. Ich … bin verantwortlich.«
    »Sie?«
    Die Dicke sah mich prüfend an und sprach in diesem berufsmäßigen Tonfall, der einen Kranken angeblich beruhigen soll.
    »Ich glaube, Sie täuschen sich. Der Beifahrer des Unfallwagens ist nicht hier …«
    »Er ist tot«, sagte der Polizist. »Sie haben ihn im Gepäckwagen des Zugs direkt nach Neuquén gebracht.«
    »Was bist du nur für ein Grobian! Verschwinde, hörst du? Oder ich reiß dir ein Ohr ab. Siehst du nicht, dass der Mann einen Schock hat? Raus hier, du Dummkopf.«
    Einen Moment lang fühlte ich mich, als befände ich mich außerhalb meines Körpers, fern vom Schweiß, in dem ich gebadet war, von den Worten der Dicken, die mich besorgt musterte. Doch ich fing mich wieder. Eine plötzliche Wut, geboren aus einem vergessenen
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