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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl
Autoren: Chamäleon Cacho
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meiner Verbannung befreien; und die ganzen Idioten würden erfahren, dass Manuel Carraspique noch immer der Beste war … sofern er Lust dazu hatte.
    Es stimmte, dass der Bericht der Krankenschwester zahlreiche Lücken aufwies. Zum einen, weil sie über etwas sprach, über das ich nicht im Bilde war, und zum andern, weil es keine Garantie für Objektivität gab, wenn ein schlimmeres Gift als Blut durch die Adern fließt und man durch eine halb offen stehende Tür lauschen musste. Eines bekam ich jedenfalls mit: Der Mann im anderen Bett, das Brandopfer, das Márquez genannt wurde, hatte auf einer Farm von Mapuche ein Massaker angerichtet. Er hatte mehrere Personen umgebracht, um ihnen den Teufel auszutreiben, und sich dann am Fuße eines heiligen Baumes selbst in Brand gesteckt. So ähnlich jedenfalls.
    Ein Handlungsreisender hatte die Tragödie zufällig entdeckt, und noch immer suchte man nach den restlichen Familienmitgliedern. Man ging davon aus, dass sie mit einem Fahrzeug die Flucht ergriffen hatten.
    Gott, der Alkohol und die verdammte Bajada de los Mallines hatten mich in diese privilegierte Situation neben dem Bett eines geheimnisvollen Mörders gebracht. Ich stellte mir bereits die Überschrift vor: Das Schwert Gottes – ein Mapuche.
    Das Adrenalin, das durch die Aufregung ausgeschüttet wurde, linderte meine Schmerzen, und ich fühlte mich siegessicher, jung und schön. Ich bekam sogar Lust, diesen reglos in seinen Wundverbänden daliegenden Körper zu umarmen, ihn Bruder zu nennen und ihn auf ein paar Gläser Wein einzuladen und mit ihm auf die siegreiche Wiederkehr anzustoßen; und zwar meine.
    Ich versuchte, meiner Unruhe Herr zu werden und mir einen Plan zurechtzulegen. Erstens: Ich musste an ihm dranbleiben, bis ich die ganze Geschichte ans Licht gebracht hätte. Zweitens: Ich durfte nicht zulassen, dass man mich verlegte. Dafür würde der nette Doktor in meiner Mannschaft zuständig sein: Journalisten und Polizisten würden nur über seine Leiche an einen Patienten herankommen.
    Und dann war da noch die Zeitfrage. Denn es ging mir nicht gut. Ich wusste nicht und konnte auch nicht rekonstruieren, wie viele Stunden oder Tage bereits vergangen waren, seit ich in diesem Bett durch das Blitzlicht des Fotografen wieder erwacht war. Und dann diese Nebensächlichkeit, an die ich gar nicht denken wollte: Meine Arme und Beine schliefen den Schlaf des Gerechten, ohne sich einen Dreck um meine Bedürfnisse zu scheren. Und verdammt noch mal, wie mir das Gesicht wehtat.
    Aber wie heißt es doch gleich: Mach das Beste daraus. Dafür ist man schließlich Überlebender.
    Zum einen beschloss ich, so viel wie möglich im Gedächtnis zu behalten, bis ich mithilfe der Ärzte einen Bleistift führen konnte. Zum anderen würde ich mit Márquez reden; ich würde ihn wie eine Zitrone auspressen. Ein Mann, der im Sterben lag, vollgepumpt mit Medikamenten, kann sich nicht schützen und beantwortet bestimmt jede Frage wie unter einem Wahrheitsserum. Das bringt fast immer ein Ergebnis. Es ging darum, die ungesicherte Tür zu finden und sie aufzudrücken, ohne den Alarm auszulösen.
    Gegen meinen Willen schlief ich ein. Wieder träumte ich von dem winzigen Stück Fleisch auf der Gabelspitze und der Geschichte eines Scheiterns, die am Grund einer Schlucht, in die wir mit leerem Magen stürzten, enden sollte. Genau so, wie wenn während eines Flugs die Tür aufgeht und das Nichts dich ruft, um dich zu verschlingen.

Zwei
     
     
     
    Es klappte. Márquez – ich weiß jetzt, dass der andere Prudencio Márquez heißt – ließ sich wie ein Lamm von meinen Fragen leiten. Trotzdem musste ich meinen Grips anstrengen, um Einzelheiten zu rekonstruieren, die in seinem Gestammel untergingen. Aber wenn es nicht so klingen würde, als lobte ich mich dafür selbst, müsste ich sagen, dass mir ein Interview noch nie so leicht gefallen ist.
    Bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel, den ich der Spritze einer der beiden Indianerinnen zu verdanken hatte und der Anstrengung, mir alles, was ich erfuhr, einprägen zu müssen, fühlte ich mich gut; sehr gut sogar. So gut, dass ich keinen Zweifel aufkommen ließ, der meine gute Laune beeinträchtigte.
    Welcher Zweifel? Der unvermeidliche, der das Kartenhaus zum Einsturz gebracht hätte; der besagte, dass ich genauso lädiert war wie dieser Kazike oder was er war, der seine Leute getötet hatte, damit Gottes Gnade ihnen zuteil würde.
    Doch eines weiß ich ganz genau: Niemand kann einer guten Story
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