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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer
Autoren: Alexandra Kui
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Meer, das hinter Deichen verborgen ist, kommt zwischen Wolken bereits wieder die Sonne zum Vorschein.
    »Wie schön es hier ist. Ich war viel zu lange weg. Dieser Sonnenuntergang.«
    »Das hier ist keine Ferienreise, Janne. Wir fahren nach Hause, weil dein Bruder tot ist«, sagt er und schüttelt den Kopf. Janne weiß, es sind Momente wie dieser, in denen er sich glücklich schätzt, nicht mit ihr verheiratet zu sein, wie er es eigentlich geplant hatte.
    »Was hat das mit dem Sonnenuntergang zu tun? Der ist heute außergewöhnlich schön, auch wenn wir es nicht zu schätzen wissen, weil unser kleines, unscheinbares Leben uns gerade unerträglich vorkommt.«
    »Du kommst mir gerade unerträglich vor.«
    »Wir müssen uns ja nicht unterhalten.«
    »Nein, besser nicht. Nicht auf deine Art.«
     
    In der Auffahrt zur Villa der Fleckers parken mehrere Autos. Janne erkennt den Geländewagen ihres Bruders Meinhard, der in Hamburg als Chirurg arbeitet. Sie hat ihn zuletzt Ostern gesehen, als die Bootsbauer-Familie sich auf der Yacht Viktoria versammelt hat, um zum Skagerrak zu segeln. Herrliche, stürmische Tage waren das - ein Ausflug mit Tradition, ohne Erik undenkbar. Janne schluckt schwer. Es mag in Berlin Leute geben,die sie für oberflächlich halten, aber hier an der Küste kennt man sie besser. All ihre Hingabe gilt der Familie. Dass sie keine geborene Flecker ist, hat für sie jahrelang kaum eine Rolle gespielt und drängt sich jetzt, da der Tod zum zweiten Mal ihre Welt aus den Angeln hebt, mit Macht zurück in ihr Bewusstsein. Sie erinnert sich schwach an ihre Ankunft in dem neuen Heim vor vierundzwanzig Jahren. Daran, wie monströs ihr die neogotische Villa in Hafennähe vorgekommen ist, wie ein Spukschloss mit all diesen Erkern und Türmchen und dem blutrot glasierten Backstein. Heute erscheint sie ihr eher klein, zu klein jedenfalls, um sich vor den anderen zu verstecken. Sie fürchtet sich vor der Begegnung mit den Eltern.
    »Janne, wir müssen aussteigen«, sagt Nils und berührt sanft ihre Schulter.
    »Lass mich.«
    Er zieht die Hand weg. »Dann komm auch. Also, ich gehe jetzt rein.« Nils steigt aus, stapft zur Beifahrerseite und öffnet die Tür für sie.
    Janne bleibt sitzen. Warmer Wind fährt ihr durchs Haar.
    »Manchmal bist du wie ein Kind«, sagt er und geht. Unter seinen Turnschuhen knirscht der Kies.
    Es ist fast dunkel, vom Hafen schallt Möwengeschrei herüber, und in den Bäumen singen Amseln. Bis eben hat Janne gehofft, Eriks Tod könnte ihr weniger anhaben als Nils - da im Prinzip ihre komplette Sozialisierung auf einem Trauerfall beruht, was eigentlich eine gewisse emotionale Routine garantieren sollte. Leider muss sie nun ihren Irrtum erkennen. Wenn sie diese Angelegenheit an sich herankommen lässt, ist sie verloren. Dann wird es schlimm werden, viel schlimmer als alles, was sie bisher erlebt hat. Der Schmerz schärft schon die Messer. Doch sie hat nicht vor zu kapitulieren. Janne versucht, das eigene Verhalten mit kühler Distanz zu steuern. Am sichersten wäre es, sie führeweg, egal wohin, Hauptsache weit weg. Sie könnte abermals von vorn anfangen und sich dem Prozess des Verdrängens hingeben. Das wäre auch in Eriks Sinn, sagt sie sich, er würde nicht wollen, dass man seinetwegen vor Kummer vergeht. Aber Nils hat den Autoschlüssel mitgenommen.
     
    Mit trotzigen kleinen Schritten geht Janne den Weg zum Hafen, die Hände in den Jackentaschen zu Fäusten geballt. In der Nähe der Alten Liebe, einem steinernen Bollwerk, das die Hafeneinfahrt vom Elbfahrwasser abgrenzt, befindet sich in einem früheren Lotsenhaus das Blaufeuer. Die Kneipe trägt den Namen eines nautischen Notsignals: Blau flackerndes offenes Feuer ist auf hoher See ein dringender Hilferuf. In Hafennähe setzen Schiffsführer das Blaufeuer, um zu zeigen, dass ein Lotse gewünscht wird. Auf der Getränkekarte gibt es einen Cocktail, der ebenfalls so heißt. Soweit Janne sich erinnert, schmeckt er nach Pfefferminzlikör - und entfernt nach Tinte. Johnny Ritscher, dem Wirt, traut sie alles zu.
    Sie tritt ein und bahnt sich den Weg durch eine verschwitzte Reisegruppe, ausschließlich Männer, die knisternde grüne Windjacken mit dem Emblem eines Shantychores tragen. Vorn an der Bar vertraute Gesichter.
    Als Johnny Ritscher sie erkennt, wird er blass. »Janne Flecker«, sagt er laut, »mein Beileid.«
    Er reicht ihr über den Tresen hinweg die Hand, und Janne nickt ihm zu und bedankt sich. Danach kondolieren die Stammkunden,
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