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Grabesdunkel

Grabesdunkel

Titel: Grabesdunkel
Autoren: Alexandra Beverfjord
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Kapitel 1
Sonntag, 1. Mai
    Es hatte fünf Tage hintereinander geregnet. Die Stockwerke in dem hohen Gebäude waren wie ausgestorben – bis auf das fünfte, das immer besetzt war. Doch in der Redaktion von Nyhetsavisen herrschte sonntägliche Stille. Der Regen klatschte gegen die Scheiben.
    Joakim Lund Jarner hatte bereits seit drei Stunden Spätdienst. Ihm war noch immer kalt nach seinem Gang durch die Stadt. Sein kurzes blondes Haar klebte an der Stirn. Die Schicht versprach ruhig zu werden, schlechtes Wetter brachte es mit sich, dass sich die Menschen auf der Schattenseite des Lebens in ihren Löchern verkrochen. Trotzdem war da dieses Gefühl. Eine Unruhe im Bauch, die er schon beim Aufwachen gespürt hatte. Joakim seufzte.
    Bis jetzt hatte er eine Seite über die Rekordmenge an Niederschlägen und fünfzehn Kurzmeldungen für die morgige Printausgabe geschrieben. Sein Blick wanderte über die Bürolandschaft zum Herzen der Zeitung, zur Redaktion. Redakteure und Setzer saßen mit kleinen Schweißflecken unter den Armen dicht an dicht vor den Bildschirmen und gestalteten die morgige Zeitung. Über ihnen hingen die hellen Neonröhren, die fast immer flackerten, weil niemand dazu kam, etwas dagegen zu tun, oder gar wusste, wie man die Röhren auswechselte. Auf den leeren Schreibtischen standen braune Pappbecher mit abgestandenen Kaffeeresten.
    Joakim war lange genug bei Nyhetsavisen, um wie die meisten anderen blind für den Müll zu sein. Er war jetzt seit fünf Jahren dabei. Das hier war sein Zuhause, dieser große Saal, wo pausenlos die Tastaturen klapperten, die Kaffeeautomaten husteten und die Drucker spuckten und alles noch an Intensität zunahm, wenn es auf den endgültigen Höhepunkt, den Redaktionsschluss, zuging, diese kritische Stunde, in der ihnen alles aus den Händen gerissen wurde. Von da an war alles unwiderruflich. Die Worte, die sich auf den Bildschirmen noch umstellen und verändern ließen, wurden jetzt endgültig, verewigt von den bald prähistorischen Druckerpressen.
    Joakim scrollte sich durch die Onlineausgaben der Konkurrenz. Vor ihm saß eine der neuen Journalistinnen aus dem Politikressort, Agnes Lea. Dieses Jahr waren Wahlen, deshalb hatte die Geschäftsleitung für Verstärkung gesorgt. Nur ihr langer blonder Pferdeschwanz war über dem Bildschirm zu sehen. Sie war zartgliedrig und klein, strahlte aber dennoch Autorität aus. Vielleicht lag es an der Andeutung eines Grübchens im Kinn, vielleicht an ihrem entschlossenen Blick. Ihre Augen waren klar, offen und kritisch zugleich. Im Internet war zu lesen, dass sie sich früher in der Jugendorganisation der Sozialistischen Partei engagiert hatte, direkt von der Journalistenschule kam und Mitte zwanzig war, also ein paar Jahre jünger als er.
    Außer Agnes hatten noch zwei Journalisten vom Feuilleton Spätdienst, die Joakim aber nicht näher kannte. Er war ganz in die Meldungen des Norwegischen Nachrichtenbüros vertieft, als der Ressortleiter plötzlich vor ihm stand. Fredrik Telle war in diesen Räumlichkeiten derjenige, der Gott am nächsten stand. Er entschied alles, was die Zeitung des nächsten Tages anging. Mit seinen hundertzwanzig Kilo war er eine eindrucksvolle Gestalt. Das borstige braune Haar trug er streng nach hinten gekämmt, und auf seiner Oberlippe standen Schweißperlen.
    Â»Joakim! Ein Mord in Majorstua. Nimm Agnes mit. Ihr müsst auf der Stelle los.«
    Joakim warf einen schnellen Blick in Richtung Pferdeschwanz. »Sie hat noch nie über einen Mord berichtet. Wäre es nicht cleverer, jemand anderen mitzunehmen?«, fragte er.
    Joakim merkte, wie Agnes die Kinnlade herunterfiel. Es war nicht so, dass er persönlich etwas gegen sie hatte. Überhaupt nicht. Er konnte sich nur keinen Patzer leisten. Nicht jetzt. Und das Fehlerrisiko stieg, wenn man mit Neulingen zusammenarbeitete.
    Â»Und wen soll ich sonst hinschicken? Einen Klatsch- und-Tratsch-Journalisten oder einen Theaterkritiker? Im Moment haben wir nur vier Leute hier, die anderen sind an anderen Sachen dran«, sagte Telle.
    Joakim antwortete nicht, sondern griff stumm nach seiner dunkelgrünen Regenjacke und hastete mit Agnes im Schlepptau aus der Redaktion.
    Im Auto des Fotografen, der draußen auf ihn wartete, ließ er sich auf den Beifahrersitz fallen. Dann drehte er sich zu Agnes um, die sich auf die Rückbank gesetzt hatte. Unter
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