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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer
Autoren: Alexandra Kui
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mag es auch rustikal.
    Als sie die Wohnungstür aufsperrt, durchflutet goldenes Abendlicht den Flur, und aus dem Wohnzimmer dringen Fado-Klänge. Es riecht nach Knoblauch, Chili - und ein wenig verbrannt. Janne zögert, bleibt mit der Papiertüte im Arm neben der Garderobe stehen. Sie weiß nicht, was es ist, aber irgendetwas in der Wohnung wirkt auf verstörende Weise verändert, obwohl alles an seinem Platz zu sein scheint und es durchaus mal vorkommen kann, dass ihrem Mitbewohner Nils ein Essen misslingt.
    Dann nimmt sie das Geräusch wahr. Es passt zur Tragik der Musik, gehört jedoch nicht dazu. Eine Mischung aus Stöhnen und Schluchzen, ein durchdringender Laut. Sie hat das Gefühl, als würde in ihrem Kopf Kristall bersten.
    Im Wohnzimmer kauert Nils auf der hellen Couch. Er hält das Gesicht in den Händen vergraben, und sein Körper vibriert. Neben ihm liegt das Telefon. Vor langer Zeit in einem anderen Leben hat Janne eine ähnliche Situation erlebt, damals war sie ein Kind und noch nicht in der Lage, die Vorzeichen zu deuten. Das hat sich gründlich geändert.
    Sie tritt mit der Fußspitze gegen den Stand-by-Schalter der Stereoanlage. Die Musik bricht ab. Jetzt erst bemerkt er sie und ruft ihren Namen. Sie wappnet sich gegen die Umarmung, die unausweichlich ist, hält die Tüte wie ein Schutzschild vor ihrem Herzen. Nils ist schon aufgesprungen und reißt Janne mit solcher Heftigkeit an sich, dass die Einkäufe zu Boden fallen. SchwarzeOliven kullern über den Holzfußboden bis zum Fenster, während er sie viel zu fest drückt und dabei wieder und wieder ihren Namen fleht.
    Janne macht nichts, sie wartet nur ab. Sie weiß, es wäre an der Zeit zu fragen, was vorgefallen ist, aber sie ist nicht bereit. Sie braucht Vorlauf. »In der Küche brennt was an«, sagt sie, und endlich lässt er sie los. Sie sieht ihm kurz in die geröteten Augen.
    Er erwidert ihren Blick. »Janne, du musst mir jetzt zuhören«, sagt er leise.
    »Nein, muss ich nicht.« Sie geht in die Küche und schaltet den Herd aus. In der Pfanne sind Fleisch und ein nicht mehr definierbares Gemüse zu einer brodelnden schwarzbraungrünen Masse verschmolzen. Die Farbe ähnelt dem Lavastein, aus dem die Arbeitsplatte geschliffen wurde.
    »Die Pfanne können wir wegschmeißen«, ruft sie in Richtung Wohnzimmer.
    Nils ist ihr gefolgt. Er steht hoch aufgerichtet im Türrahmen und deutet mit einer knappen Kopfbewegung auf einen der Küchenstühle. »Setz dich hin und hör mir zu.«
    Janne will aus dem Raum fliehen, doch er lässt sie nicht vorbei, steht da wie festgemauert mit seiner Schreckensbotschaft im Anschlag und fordert sie erneut auf, sich zu setzen, worauf ihr Widerstand zusammenbricht und sie nur noch einen Wunsch hat: Es soll schnell gehen.
    Nils atmet tief durch. »Dein Bruder ist ertrunken. Ein furchtbares Unglück.«
    »Ach so«, sagt Janne, und während sie sich freut, wie gut sie diese Neuigkeit verkraftet, bricht eine nie gekannte Übelkeit über sie herein. Ihr wird schwarz vor Augen, doch sie fällt nicht in Ohnmacht. Sie steht auf und hält den Kopf über die Spüle, muss sich aber nicht übergeben. Auf ihrer Stirn steht kalter Schweiß. Dann rettet sie sich in einen Gedanken, der so unverzeihlichist, dass sie erschrickt, und als ihre Blicke sich begegnen, spürt sie, wie Nils rätselt, was in ihr vorgeht - und wie nah er der Wahrheit kommt.
    »Ich habe zwei Brüder. Von welchem spricht du?«, fragt sie mit schwacher Stimme.
    Eine Pause entsteht. Nils büßt seine aufrechte Haltung ein. Schließlich sagt er: »Erik« und nennt damit den Namen seines besten Freundes. Es klingt beinahe entschuldigend, als stünde es in seiner Macht, das Todesurteil über den einen oder den anderen zu verhängen. Sein anschließender Versuch, Janne und sich selbst zu trösten, gerät zu einem hilflosen Gestammel, das sie kaum registriert.
     
    Es fängt an zu regnen, sobald sie Berlin hinter sich gelassen haben, harte, satte Tropfen, gegen die der Scheibenwischer wenig ausrichten kann. Sie gleiten durch eine Wand aus Wasser. Nils sitzt hinter dem Steuer ihres Alfa. Er wollte es so, obwohl sie im Gegensatz zu ihm einige Stunden schlafen konnte. In ihrem Kopf herrscht kalte Stille. Sie schließt die Augen. Alles, was ihrer Familie nun bevorsteht, ist ihr zuwider, die ganze Dramaturgie eines Todesfalls: Gottesdienst und Grabredner, Lügen und Leichenschmaus. Zu viele Tränen, zu viele weiße Blumen und zu viel schwarzer Stoff. Zu viel Erde auf dem Sarg,
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