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Die silberne Göttin

Die silberne Göttin

Titel: Die silberne Göttin
Autoren: P Rowell
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1. Kapitel
     
    Cumbria, England, 1807
     
    Er saß mit erhobenen Händen im Sattel seines braunen Hengstes und bemühte sich, sich nicht zu bewegen. All seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Pistole, die auf sein Herz zielte. Diese Pistole lag ruhig in den behandschuhten Händen einer Dame. Um die Wahrheit zu sagen, es war keine sehr kräftige Dame, eher zierlich und zart gebaut. Doch eine Dame, die zu allem entschlossen zu sein schien.
    Er konnte sie vielleicht entwaffnen. Vielleicht. Eine rasche Gegenwehr, ein schneller Griff. Es könnte gelingen. Vielleicht. Doch er riskierte damit auch, dass er oder sein Pferd erschossen wurde. Robert Armstrong gehörte nicht zu den Männern, die das Wort vielleicht sehr mochten. Nicht, wenn eine Pistole auf ihre Brust gerichtet war. Nein, im Augenblick schien es angebrachter zu sein, eine gewisse Zurückhaltung zu wahren. Er tat sein Bestes, seiner Stimme einen beruhigenden Ton zu verleihen.
    "Madam, ich versichere, dass ich Ihnen nichts Böses will. Wenn Sie mir nicht erlauben, abzusteigen und Ihnen zu helfen, Ihr Pferd zu befreien, wird die nächste Lawine nicht nur Ihr Gig, sondern auch Sie samt Ihrem Pferd unter sich begraben."
    Wie um seine Worte zu unterstreichen, prasselte eine kleine Kaskade von Eisklumpen den Hang herab und landete vor den Füßen der immer noch unbeirrt auf ihn zielenden Dame. Sie blickte kurz zu Boden und richtete dann sofort wieder die Waffe auf ihn. "Ich fürchte, Sie haben Recht. Ihre Hilfe ist mir sehr willkommen. Sie dürfen absteigen."
    Rob hob spöttisch die Brauen. "Da bin ich Ihnen aber zu Dank verpflichtet."
    Er fühlte sich ganz und gar nicht willkommen, während er sich jetzt aus dem Sattel schwang und durch den tiefen Schnee zu der umgestürzten Kutsche watete. Die Frau trat vorsichtig beiseite, richtete aber weiterhin die Pistole auf seinen Rücken. Sicher würde sie ihn nicht hinterrücks erschießen, während er sich bemühte, sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien.
    Oder vielleicht doch?
    Leise auf das verstörte Pferd einredend, das immer noch im Geschirr gefangen war, griff Rob nach den Zügeln, während er versuchte, sich ein Bild von der Lage zu machen. Der abrutschende Schnee hatte den Wagen in die Schneewehe auf der anderen Straßenseite stürzen lassen. Er war dabei umgeworfen und fast völlig mit Schnee bedeckt worden. Die grimmige Dame hinter ihm konnte froh sein, dass sie bei dem Unfall herausgeschleudert worden war. Eine Stange der Kutschengabel war gebrochen. Das aus dem Gleichgewicht gebrachte Pferd war mit dem Hinterbein darüber getreten und hatte sich so selbst fest zwischen dem gesplitterten Stumpf und der noch unversehrten Stange verkeilt.
    "Da hast du dich aber in eine verteufelte Klemme gebracht, was, alter Bursche? Das Beste wird sein, dich so schnell wie möglich daraus zu befreien, sonst erwischt es mich auch noch."
    Rob betrachtete mit zusammengekniffenen Augen den Hang über ihnen. Er war nicht sehr hoch, dafür aber steil und fast ohne jeglichen Bewuchs. Der überraschend milde Tag hatte den Schnee angetaut und ihn abrutschen lassen. Doch bald würde es wieder frieren. Rob konnte fühlen, dass die Temperatur sank. Der aufkommende Wind blies glitzernde Schneeschauer vom Rand des Abhangs hin zu einem sich auftürmenden blau-grauen Wolkengebirge. Ein weiterer Sturm. Die Lage verschlechterte sich.
    Jeden Augenblick konnte der Wind eine neue kleine Lawine auslösen. Rob zog ein Messer aus dem Stiefelschaft. Da hörte er, wie hinter ihm jemand scharf den Atem einzog. Er blickte über die Schulter.
    "Was tun Sie da?" Das Gesicht der Dame war schon zuvor sehr blass gewesen. Jetzt war es todesbleich. Und die zuvor so ruhige Hand, welche die Pistole hielt, zitterte nun. Kein gutes Zeichen.
    Rob richtete sich auf und runzelte die Stirn. "Madam, bitte! Senken Sie die Waffe. Ich habe keine Lust, dieses unglückliche Zusammentreffen mit einer Kugel im Leib zu beenden. Ich muss die Riemen von der Kutschengabel schneiden, denn ich habe keine Zeit, mich mit vereisten Schnallen abzumühen."
    "Ich …" Sie holte tief Luft und hörte auf zu zittern. Die Pistole schwankte noch ein wenig, dann endlich senkte sich die Mündung. "Ja, natürlich. Bitte, fahren Sie fort."
    Rob schickte einen gereizten Blick zum Himmel und machte sich wieder an die Arbeit. Was quälte diese Frau nur? Die verkrampfte Haltung ihres schlanken Körpers, ihre zusammengepressten Hände, ihre angespannten Züge, alles an ihr drückte Angst aus. Aber
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