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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut
Autoren: Willi Voss
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ihm zusammen?«
    »Kann ich nicht genau sagen. Mitternacht wird es gewesen sein, ein bisschen früher vielleicht. Ich habe kurz danach das Deutschlandlied im Radio gehört. – Wieso fragen Sie mich das alles?«
    »Wir suchen ihn.«
    »Hat er was verbrochen?«
    »Hat er nicht. Er wird vermisst. Und wenn ich Sie richtig verstehe, war er bei Ihnen, ja?«
    »Er war so nett, mich nach Hause zu fahren.«
    »Blieb er?«
    Ihr Blick schweifte ab, verfolgte einen roten Kombi, der vom Nachbargrundstück auf die schmale Straße rollte. »Nicht lange«,sagte sie, die grünen Gummihandschuhe knetend. »Ich habe ihm einen Espresso gemacht, und dann ist er gegangen.«
    »Gegangen?«
    »Gefahren natürlich. Er wohnt ja ziemlich weit weg. Da am Stemweder Berg bei dem schrecklichen Alten.«
    »Mit seinem Porsche?«
    Ihre behaarte Oberlippe zitterte. »Ich habe alles versucht, ihn davon abzuhalten, aber er wollte nicht, wollte unbedingt noch los, erst tanken und dann nach Hause, hat er gesagt, obwohl wir in Lemförde die Polizei gesehen haben und er ziemlich angetrunken war. Ich habe ihn wirklich gewarnt, und es hätte mir nichts ausgemacht, ihn hier schlafen zu lassen. Aber bringen Sie das mal einem bei, wenn er in dem Zustand ist!«
    Eine lockere Zufallsbekanntschaft scheint das nicht zu sein, dachte Lorinser. Jamie nennt sie ihn. Mit weichem Sch. Und zu viel Sorge ist auch im Spiel. Gefühle eines späten Mädchens, das sich in den längst verschüttet geglaubten und plötzlich wieder erwachten Traum ihrer Jugend vernarrt hatte?
    »Seit wann kennen Sie ihn?«
    »Seit letztem Jahr. Ich habe ihn auf dem Sommerfest kennengelernt. Er hat mich angesprochen. In einer geschäftlichen Sache, die ihn sehr beschäftigte. Er wusste wohl, dass ich Inhaberin einer Firma für Wirtschafts- und Industrieberatung bin.«
    »Wollte er sich selbstständig machen?«
    »Nein, der ist froh, seine Stellung bei der Sparkasse zu haben. Es ging um alte Geschichten, um Patente, die sein Onkel auf dubiose Art und Weise an ein großes Unternehmen verloren hat. Er war der Ansicht, die Verträge seien auf betrügerische Art und Weise zustandegekommen und deshalb null und nichtig.«
    »Und?«
    »Gegen großes Geld zu prozessieren verlangt mehr als langen Atem. Wenn es zu keinem schnellen Vergleich kommt, kann man in einem solchen Verfahren alt und grau werden. Außerdem sindPatente nur über einen bestimmten Zeitraum gültig, und der war längst überschritten. Eine hoffnungslose Geschichte.«
    »Das hat er auch eingesehen?«
    »Mit knirschenden Zähnen, würde ich sagen.«
    »Wieso nennen Sie ihn Jämie?«
    »Weil er James Dean so ähnlich sieht«, gestand sie und zeigte zum ersten Mal den Anflug von Verlegenheit. »Er hatte ja auch nichts dagegen, ihm gefiel es ja.« Sie deutete mit einer abrupten Handbewegung auf das Haus. »Wenn Sie noch viele Fragen haben, lade ich Sie gerne auf einen Kaffee ein. Mögen Sie?«
    »Nein, vielen Dank. – Wie war … wie ist Ihre Beziehung zu ihm?«
    Sie blickte auf ihre Clogs, als könnte sie dort die Antwort auf die Frage finden, hob plötzlich den Kopf und stieß ein kurzes Lachen aus.
    »So oft sehe ich ihn nicht … Ich bin nur sporadisch hier, bin froh, wenigstens tageweise meiner Tretmühle entkommen zu können, das sag ich Ihnen! Und Jämie ist mir sehr sympathisch. Er hat es ja nicht leicht. Ich weiß nicht, ob Sie seinen Vater kennen. Einfach hat er es jedenfalls nicht mit dem, und er muss sich einfach mal aussprechen. Schon um sich von seinem Druck zu befreien.«
    Von seinem ? Lorinser bemühte sich, sich seine Skepsis nicht anmerken zu lassen. Was er da hörte, klang gar nicht nach dem Schweinehund Halveslebener und Bossenscher Beschreibung, klang nach einem Thorsten Sensibelchen, der den ausladenden Busen dieser Dame lediglich als Deponie für Frust & Tränen benutzte. Das konnte, musste man aber nicht glauben. Frauen über fünfzig, behauptete ja nicht nur sein Kollege Steinbrecher, sind Vulkane: Entweder erloschen oder permanent vor dem Ausbruch. Frau Simmerau jedenfalls machte nicht den Eindruck, inaktiv zu sein. Wenn Böses Ruf zutraf, ein Rammler vor dem Herrn zu sein, stand nicht er, sondern sie unter Druck. So verstanden, wurde ihre offensichtliche Trauer plausibel. Jedenfalls dem Anschein nach.
    »Was meinen Sie, wenn Sie von Druck sprechen?«
    »Kennen Sie seinen Vater?«
    »Sie?«
    »Ich habe genug gehört, um Rückschlüsse ziehen zu können, und dass Jämie sich bei ihm wie in einem Gefängnis
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