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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut
Autoren: Willi Voss
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den Telefonapparat entgegen und las aus einem dünnen Telefonbuch die Nummer vor.
    »Nichts«, sagte Lorinser nach langem Klingeln. »Vielleicht ist sie schon wieder abgereist.«
    »Sie fahren sowieso in die Richtung. Hier ist die Adresse.«
    Lorinser schrieb sie sich auf. Und die einer Carola Bersenbrück, die Thorsten Böse laut Bossen »dick gemacht« und im Elend sitzen gelassen hatte.
    »Sie wohnt in Brockum. Der Vater betreibt dort eine kleine Fabrik. Können Sie gar nicht verfehlen …«
    »Danke«, sagte Lorinser und reichte dem Beamten die Hand. »Vielleicht darf ich wieder auf Sie zukommen, falls ich weitere Fragen habe?«
    »Thörstchen liegt wahrscheinlich bei der Simmerau oder bei einer anderen im Bett, glauben Sie mir«, sagte Bossen und versuchte erst gar nicht, seinen Körper der Höflichkeit halber um einige Zentimeter aus dem Bürostuhl zu wuchten.
    Lorinser hatte bereits die Klinke in der Hand, als er sich noch einmal umdrehte. »Sagen Sie, dieses Denkmal da draußen … ich habe gesehen, dass der Name herausgemeißelt wurde. Wissen Sie, wem es gewidmet ist?«
    »Das Denkmal ?«
    »Ja, am Huntedeich. Damals, als Böses Bruder sich dort umbrachte, könnten Sie es noch intakt gesehen haben.«
    »Nein, nein! Das war schon immer so … Nee, tut mir leid, das ist aus anderen Zeiten, und wer damit gemeint ist … tut mir wirklich leid.« Der Kopf ruckte nach hinten, über die aufgeworfenen Lippen keckerte ein dürres, verlegenes Lachen. Die Augenjedoch, die fröhlichen Trinkerlichter, waren plötzlich verschleiert und verschwanden hinter den geschwollenen Lidern, als wollten sie sich verstecken.
    »Wiedersehen«, sagte Lorinser und hatte wieder das Gefühl, nicht die ganze Wahrheit gehört zu haben.
    Was Bossen als Palast beschrieben hatte, stand klotzig wie ein Bürogebäude in einem Rechteck aus hellem Kies und war nichts weiter als ein schwarz gedecktes Halbhaus mit bis auf das Fundament reichenden Fenstern. Die grau getönten Scheiben erinnerten Lorinser an den milchigen Glanz toter Fischaugen. Eine kniehohe Bruchsteinmauer bildete ein Quadrat, in dem offenbar ein Pedant militärisch exakte Muster erzwungen hatte: Daumenhoch getrimmter Rasen, durchbrochen von mit Rindenmulch gefüllten Beeten, aus denen Kirschlorbeer, Rosen und Buchsbaumzwerge ihre jugendlichen Ärmchen in die Sonne streckten. Grauschwarzes Verbundpflaster zog sich als Auffahrt am Haus vorbei zu einem von Kletterrosen bewachsenen Carport.
    Einen Porsche entdeckte Lorinser nicht. Dafür aber vor der Hausfassade grüne Gummihandschuhe, die bei näherem Hinsehen zu einem mit Botox behandelten Michelinmännchen in einem weißen Arbeitsanzug gehörten. Kurze, weißblonde Haare, durch die die Kopfhaut rosig schimmerte, ein rundes Gesicht, das halslos aus dem hochgestellten Kragen ragte und aus dem hinter golden gerahmten Brillengläsern kohlschwarze Augen starrten.
    »Sind Sie der Spengler?«
    Der Stimme nach war das Männchen eine Frau, ihr saftiger Dialekt badische Ursuppe.
    »Nein, Kriminalbeamter. Sind Sie Frau Simmerau?«
    »Die bin ich, ja. Und was wollen Sie, wenn Sie nicht der Spengler sind?«
    »Sie fragen, ob Sie wissen, wo Thorsten Böse ist.«
    Sie rollte sich die Handschuhe von den Händen. »Wieso glauben Sie, dass ich das wissen könnte?«
    »Wissen Sie’s?«
    »Wer sagt Ihnen, dass ich überhaupt weiß, wen Sie meinen könnten?«
    »Sie haben gestern mit ihm getanzt. Im Festzelt.«
    Ihre weißen Gartenclogs gruben sich in den knirschenden Kies. Vom Nachbarhaus, einer kleinen Reetdachkate, erklang das Geräusch eines anspringenden Motors.
    »Ach der … den Jämie, den meinen Sie, ja, mit dem habe ich getanzt, und wie!« Keckernd sprühte eine Lachkaskade aus ihrem trichterförmig verformten Mund. »Wieso fragen Sie mich überhaupt? Ist was passiert? Bestimmt. Sonst wären Sie wohl nicht hier. Überhaupt, woher wissen Sie eigentlich, dass ich gestern auf dem Schützenfest war?«
    Genau so ruckartig wie sie die Sätze hinausgeschleudert hatte, rückte sie auf klappernden Holzsohlen näher. So nahe, dass Lorinser einen Schritt zurückwich. Eine Wolke ihres Pfefferminzatems traf ihn trotzdem. Fordernd, als hätte sie Erziehungsrechte, blickte sie ihm ins Gesicht. Ihr dünnlippiger Mund entblößte ungewöhnlich große Zähne, die wie zum Zubeißen geöffnet waren. Die Oberlippe versteckte sich im Schatten eines von Lippenstift gedüngten Damenbarts. Unter den Augen falteten sich dunkle Schatten.
    »Wie lange waren Sie mit
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