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„Du kommst hier nicht rein!“: Der Mann an der härtesten Tür Deutschlands packt aus (German Edition)

„Du kommst hier nicht rein!“: Der Mann an der härtesten Tür Deutschlands packt aus (German Edition)

Titel: „Du kommst hier nicht rein!“: Der Mann an der härtesten Tür Deutschlands packt aus (German Edition)
Autoren: Klaus Gunschmann
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EINS
    Ein Fremder ohne Namen
    N ervös kaute ich am Fingernagel meines Daumens. Es war im März 1983. Ich hatte bisher nie geknabbert. Jetzt aber war es soweit. Und mir war gleichzeitig heiß und kalt: So ähnlich ging es mir zum ersten Mal kurz vor der Spritze beim Zahnarzt. Die Stirn und eine mondförmige Fläche rund um den Solarplexus sind heiß wie der Eukalyptus-Aufguss in der gemischten Sauna, alles andere ist eiskalt. Zudem ist man nicht mehr fähig, sich zu bewegen. Deutliche Anzeichen eines Schockzustands. Nun hatte ich zu allem Überfluss auch kein Gefühl mehr in meinem rechten großen Zeh. Entweder lag es an meiner Sekundenstarre, an dem schmalen Gesims, auf dem ich stand, oder der hellbraune Velours-Cowboystiefel mit Sechs-Zentimeter-Absatz war einfach zu spitz, als dass sich mein großer Zeh mit der viel zu engen Stiefelform hätte anfreunden können.
    Natürlich war ich sehr stolz auf meine »Cowboys«, die ich zusammen mit der »Karotte«, natürlich »moonwashed«, im damals größten Jeansladen Münchens – dort haben sie alle eingekauft – erstanden hatte. Mit ein paar Ablenkungstricks hatte ich meiner Mutter Einmachgummis von den Marmeladengläsern geklaut, um so die Schäfte meiner Wildlederboots zu verengen, damit die Karottenjeans drüber passten. Dazu trug ich das gelbe Schlabber-Sweatshirt und die Allzweckwaffe, den silbernen Spencer mit lilafarbenem Innenfutter, die Ärmel selbstverständlich hochgekrempelt. So ging ich mit meinen Freunden auf die Pirsch und wir hofften auf aussichtsreiche Beute bei unseren Nachtwanderungen durch München.
    Damals, Anfang der Achtziger, standen wir auf Hardrock, und die Discos waren eigentlich getarnte Rockschuppen, in denen wir die Kellnerinnen mit ihrer, wie wir sie nannten, »explodierten« Farah-Fawcett-Frisur und ihren pinkfarbenen Aerobictops anhimmelten. Außerdem wollten wir alle so aussehen wie Walter, der langhaarige Türsteher vom legendären Rockclub Sugar Shack. Der größte Wunschtraum aber von uns allen war es, die »Les Paul«, die sagenhafte E-Gitarre von Gibson, wirklich in Händen zu halten und zu spielen. Warum sonst hätten wir uns jedes Wochenende als headbangendes Geisterballett der Luftgitarrenmeister – die Mähne durfte dabei nur von oben nach unten geschüttelt werden und niemals zur Seite – auf der Tanzfläche vom Romy’s Finest oder vom Sugar Shack vor den anwesenden Rockerbräuten derart lächerlich gemacht? Ich hatte mich schon immer gewundert, warum bei »Turn me loose« von Loverboy keine Mädchen mehr auf der Tanzfläche waren, aber es schien so ein Jungs-Ding zu sein, breitbeinig auf einem Fleck zu stehen, den Nackenspoiler zu schütteln und so zu tun, als könne man so spielen wie die Gitarrengötter Jimi Hendrix und Eric Clapton.
    Doch damit sollte nun Schluss sein. Bisher hatte ich mich darauf verlassen, dass mir andere Menschen Tipps gaben. Jetzt war es an der Zeit, unabhängig zu werden und auf die guten Ratschläge meiner Rockkumpanen zu verzichten, genauso wie auf mein T-Shirt mit Grateful Dead und die selbst aufgenommenen Status-Quo-Kassetten. Leider musste dabei auch meine schwarze Rindlederjacke dran glauben. Schließlich wollte ich mich ja in meinem Leben in Zukunft mit geistig und körperlich anspruchsvolleren Tätigkeiten beschäftigen, als vor dem Badezimmerspiegel Luftgitarren-Posen zu üben. So kam auch der Spencer ins Spiel.
    Jetzt meldete sich mein großer rechter Zeh wieder mit einem Lebenszeichen. Doch um eine weitere Stunde in meiner Position zu verharren, war das Sockelgesims einfach viel zu schmal. Der gerade mal fünfzehn Zentimeter breite und fünfzehn Zentimeter hohe Mauervorsprung gehörte zur Wand des Osttrakts des Hauses der Kunst. Meine erste Begegnung mit der Kunst hatte ich als Vierzehnjähriger hier in diesem imposanten Ausstellungsgebäude. Die damals ausgestellten Meisterwerke strahlten auf mich eine Ruhe und Entspanntheit aus und ich fühlte mich ihnen auf einer so tiefen Ebene verbunden, dass ich Künstler werden wollte. Welche Richtung meine künstlerische Begabung nehmen sollte, war mir damals natürlich noch nicht ganz klar.
    Jetzt stand ich also wieder vor meinem geliebten Haus der Kunst, besser gesagt vor der imposanten Ostwand, zwischen Freitreppe und der mächtigen Doppelschwingtür. Die Ostwand ist bestimmt fünfzehn Meter hoch. So musste sich ein Kletterer fühlen, wenn er am Fuße der Eiger-Nordwand geradewegs hoch zum Gipfel schaut. Monströs. Schon vor dem Haus an sich
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