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Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt
Autoren: Joerg Riehl
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Platypus-Beobachten als Attraktion versprach. Er hatte versprochen mitzukommen, wenn sie mit nach Crocodylus käme. Dann hatte sie ihn auf seine dicke Lippe geküsst.
    Ralf rannte vor zum Busfahrer und bat ihn anzuhalten. Der Fahrer erklärte, dass Ralf nicht vor Abend in Yungaburra ankommen würde, aber wen interessierte das, Ralf wollte nur aussteigen. Er schnappte den Rucksack, sagte schnell Auf Wiedersehen, bedankte sich beim Busfahrer und machte sich auf den Weg zurück.
    Daumen raushalten brachte keinen Erfolg, was viel Zeit für das Gedicht bedeutete. Die Straße zog sich beinahe endlos durch Wald und weite Grasflächen. Ralf kämpfte sich in Gedanken an eine Küche vorwärts, in der es nach Spagettisoße duften würde. Miriam läge in ihrem Bett, er würde ihr einen Teller Spagetti bringen und ihr alles erzählen, auch wenn er noch nicht wusste, was dieses »alles« sein sollte. Er war jetzt Co-Autor am Drehbuch seines Lebens, es würde ihm was einfallen.

    Der Busfahrer hatte richtig geschätzt: Es war fast Abend, als Ralf in Yungaburra ankam, mit Füßen platt wie Pizzateig. Vor ihm lag On the Wallaby , ein prächtiges, bunt gestrichenes altes Holzhaus. Ralf spürte, Miriam war hier und wollte, dass er sie findet, wie der Prinz Dornröschen. Er atmete tief durch und öffnete die Tür.
    Tatsächlich kochten ein paar Leute Spagetti, aber Miriam war nirgendwo zu sehen: nicht im großen Koch- und Wohnbereich, nicht im Garten und nicht bei den Duschen. Am Empfang war überhaupt niemand. Ralf drehte noch eine Runde und stieß bei den Waschmaschinen auf ein blondes Mädchen aus Sachsen, Anita. Sie war die Freundin des Geschäftsführers und vertrat ihn an der Rezeption, wenn er gerade nicht da war.
    »Es gibt noch Platz im Vier-Bett- und im Sechs-Bett-Zimmer«, sagte sie. »Willst du mal reinschauen?«
    Ralf nickte und fragte auf der Treppe, die außen nach oben führte, ob Miriam heute angekommen sei.
    »Nein, aus Deutschland niemand.«
    Ralf fühlte sich wie ein geknicktes Gänseblümchen. Dieses eine Mal wenigstens hätte sich seine Hoffnung erfüllen können.
    »Kann ich für die Übernachtung arbeiten? Ich putz auch Klos.«
    »Nee, muss alles ich machen. Aber bei der Erdbeerernte werden Leute gesucht.«
    Wie sollte er gleichzeitig Erdbeeren ernten und Miriam suchen? Langsam wusste er nicht mehr, wie das klappen... Moment.
    »Ist ein australisches Mädchen angekommen?«
    Anita zeigte ihm das kleinere Zimmer. »Ja, ich glaube schon. So eine mit dunklen Haaren und einer merkwürdigen Hose?«
    »Ja, und hübsch.« Ralf war klar, das hörte sich ziemlich dämlich an.
    Anita zuckte die Achseln. »Die ist mit den anderen zum Fluss.«
    »Zum Fluss?«
    »Platypusse anschauen.«
    Ach ja. »Wie komme ich dahin?«
    Sie grinste. »Nimmst du das Zimmer?«

    Ralf beeilte sich, weil es schnell dunkel wurde, das Platypus-Hemd zog er im Laufen an. Zum Glück war der Weg nicht kompliziert: über die große Kreuzung, noch ein paar hundert Meter geradeaus und dann irgendwo links von der Brücke.
    An der Brücke angekommen, konnte Ralf kaum noch was erkennen. Da saßen Leute auf einem Baumstamm oder einer Bank - nein, das waren Sträucher: Nichts bewegte sich und Stimmen waren nicht zu hören. Ralf rannte ein paar Schritte auf die Erscheinung zu, als - kurz bevor er umkehren wollte - einer der Sträucher aufstand und einen Finger an den Mund legte.
    »Psssst!«
    Ralf wurde bedeutet, sich an den Rand des Baumstammes zu setzen und in Regungslosigkeit zu verharren.
    Die Szene hatte etwas Religiöses: Wie Anhänger einer Geheimsekte saßen neun Jünger in Stein gehauen auf ihrem Platz und starrten andachtsvoll in die Finsternis. Fehlte nur noch, dass sie knieten. Der Hohepriester, der Ralf zurechtgewiesen hatte, zeigte nach ein paar Minuten angespannter Stille stumm auf den Fluss. Wie auf Befehl hielten alle den Atem an.
    Mondlicht spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, wo langsam eine kleine Bugwelle sichtbar wurde. Was da ankam, konnte alles Mögliche sein: Biber, Ratte, Schlange oder ein brustschwimmender Turnschuh. Die Bugwelle kam näher und der Oberstrauch legte überflüssigerweise wieder mahnend den Finger auf den Mund. Niemand wagte zu atmen, man konnte Stirnen sich runzeln hören in Konzentration auf das Etwas, was da angepaddelt kam.
    Wo war Miriam? Ralf brannte vor Sehnsucht, und die Ungewissheit, was sie tun würde, war pure Folter. Er musste es sofort herausfinden, und wenn die Platypus-Jünger ihn auf der Stelle
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