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Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt
Autoren: Joerg Riehl
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in seine Griffe zu legen, neutrale, leidenschaftslose mechanische Handbewegungen. Wie zufällig rutschte eine Strähne blondes Haar zurück auf ihre Schultern. Als Kristine sie wieder einfing, warf sie Ralf einen kurzen Blick zu.
    »Mhhm - gut. Etwas tiefer - ja. Nimm noch was von der Sonnenmilch.«
    In um ihn wabernden Kokosschwaden begann Ralf, darüber nachzudenken, wie lange er jetzt allein sein würde. Bis er wieder ein Mädchen wie Miriam fand, konnten Jahre vergehen, Jahrzehnte vielleicht, oder vielleicht fand er nie wieder jemanden wie sie. Als ob sie seine Gedanken erraten hätte, griff Kristine nach seinen Fingern und führte sie nach vorne auf ihre Brust.
    »Wolltest du mir nicht sagen, was du vorhast?«
    Ralf spürte seinen Widerstand schmelzen wie Bounty -Riegel auf dem Grill.
    Und so duftete es auch. Durch eine Wand von Kokosaroma sagte Kristine: »Versprich mir, dass du sie nie wieder triffst.«
    Ralf erinnerte sich, wie aufregend es sein konnte, sein Gewissen zu überstimmen. Miriams erster Kuss hatte alle Bedenken beiseite gefegt, dieses Dämme brechende Gefühl, dass nicht falsch sein konnte, was so schön war. Das hier, das war das Falsche. Und dieses »Versprich mir« - Miriam hätte das anders gesagt, wie man sich eben ein Versprechen gibt: leise, fast flüsternd, ihre Augen tief in seine dringend, voller Vertrauen auf die Bindung, die aus den Worten entsteht. Versprich mir, hätte sie gesagt - Gott, wie hatte er das vergessen können - das Versprechen mit dem Platypus! Den musste sie gemeint haben mit dem Satz, er wüsste, wo sie zu finden sei.
    Er sah Kristine an - hier ging es nicht um Liebe, vielleicht nicht einmal um Sex. Ralf zog seine Hand zurück und ging ins Bad, um den Fettfilm der Creme von den Händen zu waschen. Dann stopfte er seine Sachen in den Rucksack.
    »Dein Fernrohr ist wieder aufgetaucht. Kommt morgen hier im Motel an. Was bin ich dir für das Zimmer schuldig?«
    Kristine kassierte die Hälfte von Motelzimmer und Auto, außerdem Ralfs Anteil am Bungee-Sprung und 50 Dollar Frachtkosten, um das Fernrohr per Post nach Hause zu schicken. Er legte das Geld auf den Tisch.

27.
    Das Reisebüro konnte er sich schenken, sein Ziel war der Bahnhof. Auf dem Weg dachte er daran, dass er
    nicht mehr viel Geld hatte, das seiner Eltern war zu zwei Dritteln aufgebraucht, vielleicht gerade genug, um das Ticket nach Hause umzubuchen. Nur gut, dass er das Teleskop los war, das hieß weniger Ballast, auch seelischen. Mit einem Fernrohr ließen sich Dinge aus weiter Entfernung bewundern - wenn man sie aus der Nähe kennen lernte, ergab sich ein anderes Bild. Für Miriam brauchte er keine Vergrößerungsbrille, er liebte sie ohne Abstand, so nahe wie möglich. Es war ihm absolut schleierhaft, wie er sie jemals hatte allein lassen können. Ralf setzte sich in den Schatten und puzzelte an seinem Gedicht. Es kam kein Bus - und Fahrgäste waren auch nicht zu sehen. Das war ein bisschen beunruhigend, vielleicht fuhr der Bus nach Atherton nur einmal am Tag. Ralf vermisste ein Horoskop, etwa mit dem Inhalt: »Eine Reise bringt Sie ans Ziel Ihrer Wünsche« oder so ähnlich. Für Busabfahrtszeiten war es allerdings besser, sich am Schalter zu erkundigen.
    Der nächste Bus nach Atherton ging erst mittags. Zwei Stunden, um sich im Hafen ein paar Yachten anzusehen, die Krabben und Schlammspringer im Schlick zu beobachten, im Food Court zu brunchen oder zu Kristine zurückzugehen und auf den Knien rutschend um Vergebung zu bitten. Ralf grinste - das würde er nicht. Er war auf dem Weg in die Tablelands, wo man Platypusse in freier Wildbahn beobachten konnte. Das hatte er Miriam versprochen und er würde sein Versprechen halten. Er würde einfach den Rest seines Lebens nach ihr suchen. Ob sie gefunden werden wollte oder nicht.

    Als es Mittag wurde, sah sich ein Mann sorgfältig auf dem Busbahnhof um, mit zusammengekniffenen Augen, eine Sonnenbrille hatte er nicht. Er war Ende vierzig, trug unterhalb der Oberschenkel abgeschnittene Jeans und ein kurzärmliges Hemd, dessen Muster nach den Achtzigern aussah. Nachdem er einen misstrauischen Blick in den Schalterraum geworfen hatte, setzte er sich zu Ralf in den Schatten. Gepäck hatte er keins, er war offenbar einheimisch.
    »Wissen Sie, wo man in den Tablelands Platypusse beobachten kann?«, fragte Ralf.
    »Da gibt’s mehrere Stellen. Sie mögen trübe Gewässer. Wo bist du her?«
    »Aus Deutschland.«
    »Das ist gut. Ich habe zwei deutsche Schäferhunde, die
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