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PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen

PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen

Titel: PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Jorgal
    Die Maschinen sangen nicht mehr an diesem dunklen, kalten Ort. Sie wisperten und raunten nur noch, wenn überhaupt, und das fand Jorgal sehr schade. Sie sterben, wie auch wir sterben, dachte er voller Kummer. Ihr Tod ist unser Tod.
    »Habt ihr das gehört?«, erklang Taniras Stimme in der Finsternis, die Jorgal umgab. Sorge zitterte in ihr.
    Es knackte in der Dunkelheit, ein metallisches Ächzen, das Jorgal auf unangenehme Weise vertraut geworden war, denn es störte die letzten Melodien der Maschinen.
    »Strukturelle Instabilität«, antwortete Darhel, der über solche Dinge Bescheid wusste. Er kannte Zusammenhänge, die Jorgal immer wieder erstaunten, und manchmal fragte Jorgal sich, wie so viel und so komplexes Wissen in einem einzelnen Kopf Platz finden konnte. »Wir sind hier im Außenbereich des Fragments, in einem Sektor, der bei der Kollision stärker in Mitleidenschaft gezogen wurde als die inneren Bereiche.«
    »Wir hätten drinnen bleiben sollen«, jammerte die immer ängstliche Hilaila leise.
    »Drinnen ist alles tot«, erwiderte Jorgal, umgeben von Schwärze. »Drinnen ist der Gesang der Maschinen endgültig verstummt.«
    »Es tut mir leid für dich«, sagte Memerek, die wusste, wie viel der Gesang dem Maschinenflüsterer Jorgal bedeutete. Ohne jene Melodien erstickte er fast am Gefühl der Einsamkeit, obwohl er den ganzen Hort in der Nähe wusste. Beziehungsweise die Reste davon. Einige von ihnen waren unterwegs gestorben.
    »Es tut mir leid für uns alle«, erwiderte Jorgal leise.
    »Ich habe mir den Plan genau eingeprägt«, sagte Darhel. »Es kann jetzt nicht mehr weit sein bis zum Kapselraum.«
    Wie lange sind wir schon unterwegs?, fragte sich Jorgal und spürte die Müdigkeit wie ein schweres Gewicht auf Geist und Körper. Es war ihm immer schwergefallen, einen präzisen Eindruck vom Ausmaß verstrichener Zeit zu gewinnen. Selbst das eigene Alter war eine Größe mit nur vager Bedeutung. Manchmal fühlte er sich jung, jünger als die anderen, manchmal aber auch greisenhaft alt, insbesondere dann, wenn er längere Zeit ohne den Gesang der Maschinen auskommen musste.
    Das Knacken wiederholte sich, noch etwas lauter und bedrohlicher. Jorgal hörte leises Wimmern, etwas weiter entfernt als die anderen Stimmen, und dann beruhigende Worte, die von Tanira stammten. Sie hatte die Aufgabe übernommen, sich um die Jüngsten aus dem Hort zu kümmern.
    »Jorgal?«, fragte Darhel.
    »Hier wispern die Maschinen so leise, dass ich kaum etwas höre. Vielleicht können sie weiter vorn wieder singen.«
    »Memerek? Siehst du etwas?«
    Jorgal wusste, dass Memerek Wärme sehen konnte. Genauer gesagt: Sie sah Temperaturunterschiede. Ihm kam das seltsam vor, und er hatte sich oft gefragt, wie Augen sehen sollten, was sich nur seinem Tastsinn offenbarte. Aber er wusste auch, dass solche Fragen müßig waren. Bei den Kindern des Hortes gab es viele seltsame Dinge; deshalb gehörten sie ja zum Hort.
    »Ja«, hörte er Memereks Stimme. »Die Luke ist nicht mehr weit. Aber vor ihr auf der linken Seite ist etwas geborsten. Scharfkantige Trümmerteile ragen über den Weg.«
    »Können wir ihnen ausweichen?«, fragte Darhel, der seit Anhalos Tod im verwüsteten Raum mit den Pflanzen die Führung der Gruppe übernommen hatte.
    »Rechts gibt es eine Lücke, durch die wir klettern können«, antwortete Memerek. »Ich helfe euch.«
    Jorgal hörte ein Klicken, als Darhel seine Lampe einzuschalten versuchte. Das erhoffte Licht blieb aus. Die Lampe hatte längst aufgehört zu singen.
    Eine Hand berührte ihn am Arm und zog sanft. »Komm«, sagte Memerek. »Wir sind die Ersten. Ich zeige dir den Weg.«
    Jorgal zog sein drittes, derzeit nutzloses Bein hinter sich her, als er Memerek folgte, von der nun ein dumpfes Brummen kam. Damit half sie den anderen bei der Orientierung. Er zog den Kopf ein, als sie ihn dazu aufforderte, streckte sich, kroch und erreichte kurz da-rauf das Ende des Ganges: eine Wand, darin eine Tür mit geschlossenen Siegeln.
    Während Memerek den anderen half, das Hindernis zu passieren, ohne dabei an die scharfen Kanten zu stoßen, konzentrierte sich Jorgal auf die Tür. Eine leise, leise Stimme sang in ihr, und ihre Melodie war nicht annähernd so schön und belebend wie jene, die er vor der Kollision gehört und genossen hatte. Aber als er sein drittes Bein nach ihr ausstreckte, konnte er einen Kontakt herstellen und entsann sich dabei an einen von Darhels Hinweisen. Bevor man eine Tür öffnete, musste
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