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Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt
Autoren: Joerg Riehl
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fahre ich jetzt besuchen.«
    »Besuchen?«
    Der Mann kniff die Augen zusammen und sah sich um. Er hatte einen Sonnenbrand im Nacken, schien ihm aber nichts auszumachen.
    »Die Polizei will sie einschläfern lassen. Da habe ich sie zu einem Kumpel nach Atherton gegeben. Und wenn sie mich foltern, die werden nie rauskriegen, wo sie sind.«
    »Warum einschläfern?«
    »Wegen nichts, weil sie einen blöden Vogel getötet haben. Wenn es ein Japse gewesen wäre, könnte ich es fast verstehen, aber ein blöder Cassowary?«
    Er sah Ralf entrüstet an. Ralf gab sein Bestes, ebenfalls entrüstet auszusehen, auch wenn er keine Ahnung hatte, was ein Cassowary war.
    Der Mann schien das Problem zu ahnen: »Das ist ein Laufvogel, so was wie ein Emu, nur bunter. Gibt nicht mehr viele davon, sind am Aussterben. Aber trotzdem nur ein Vogel.«
    »Wie ist das passiert?«
    Wieder sah er sich um. »Die Hunde bewachen das Grundstück. Da ist dieses Vieh aufgetaucht und hopp sind die beiden über den Zaun und haben’s platt gemacht. Ich meine, das ist ihr Instinkt, wenn Beute vorbeikommt, können sie nicht erst im Grundbuchamt nachfragen, ob das auch ihr Territorium ist.«
    »Warum sind sie so scharf?«
    Der Typ sah nicht so reich aus, dass er unbedingt scharfe Wachhunde bräuchte.
    »Sie sind, wie sie sind, und ich mag sie, weil sie so sind wie ich: ehrlich, treu, sie lieben ihr Zuhause und lassen sich nicht unterkriegen. Sie beschützen das Haus vor Gefahr. Lauert überall.«
    »Krokodile?«
    »Nein. Fremde.«
    »So jemand wie ich?«, fragte Ralf vorsichtig.
    »Nee. Solche.« Der Mann zog seine Lider mit den Fingern nach außen. »Schlitzaugen. Werden immer mehr.«
    »Was ist an denen gefährlich?«
    »Verstehst du nicht.«
    »Der Vogel hat’s wahrscheinlich auch nicht kapiert.«
    Der Mann sah weg.
    »Es war nur ein dummer Vogel, zur falschen Zeit am falschen Ort. Da kommt der Bus. Ich muss den Bus nehmen, mein Auto könnte überwacht werden.«

    Der Bus fuhr die Strecke, die Ralf von seinem Bungee-Ausflug kannte. Auch an Helens Kiosk kam er vorbei, Höhle der Tunfischsandwiches und der freien Entscheidungen. Es musste der richtige Weg sein.
    Der Mann mit den Schäferhunden hieß Harlan, hatte eine Frau, aber keine Kinder. In seine Nachbarschaft waren Familien aus Malaysia gezogen. Einige Zeit hatte er Yachten überholt, erzählte er, bevor er den Job verlor und auf einer Krokodilfarm arbeitete. Das gab er nach einem halben Jahr wieder auf für eine Stelle als Büromobiliarvertreter.
    Resignierend schüttelte Harlan den Kopf: »Meine Frau arbeitet halbtags im Bottleshop und verdient mehr als ich.«
    Harlan stand dem Cassowary näher, als er sich träumen ließ. Beide schienen Auslaufmodelle in einer Welt, die nicht mehr ihre war.
    Sie kamen an der Kreuzung vorbei, an der es zur Bungee-Brücke ging. Ralf konnte kaum glauben, dass er vor ein paar Stunden beinahe nach Hause geflogen wäre. Er hatte keine Ahnung, ob seine Entscheidung klug war oder in irgendeine Vorstellung von Schicksal passte, egal: Es war einfach das Richtige.
    In einem verschlafenen Nest mit dem Namen Yungaburra stiegen zwei Rucksacktouristen zu. Ralf fragte, ob sie Platypusse gesehen hätten.
    »Das kann man hier irgendwo, haben wir aber nicht«, antwortete der eine, der andere sagte: »Sie kommen erst in der Dämmerung und dann sieht man sowieso nichts.«
    Die beiden erzählten stattdessen von einem Baumriesen, einer Würgefeige, die in der Nähe besichtigt werden konnte. Ein Vogel hatte das Samenkorn vor Jahrhunderten in die Krone eines mächtigen Baumes gelegt. Die Feige ließ aus zwanzig, dreißig Metern Höhe Wurzeln nach unten wachsen, bildete über der Baumkrone eine zweite, die das Licht abfing, und erdrückte ihren Wirt in jahrzehntelangem Ringen.
    »Gigantisch«, sagte einer der Rucksacktouristen.
    »Sollte man Brennholz draus machen«, erwiderte Harlan, »der alte Baum war zuerst da. Er hat auch ein Recht auf Leben.«
    »Und was ist mit blöden Vögeln?«
    Harlan sah Ralf giftig an, gab dann aber zu: »Okay, blöde Vögel auch.«
    Ihr Backpacker, erzählten die beiden Rucksacktypen, sei gemütlich, habe familiäre Atmosphäre und gemäßigte Preise, das könnte man wirklich empfehlen. »Hieß The Wallaby oder so ähnlich.«
    »Vielleicht On the Wallaby ?« Ralf kam der Name bekannt vor.
    »Ja, genau.«
    Auf einmal wusste Ralf es wieder: Miriam hatte beim Bullriding in der Diskothek eine Übernachtung im On the Wallaby gewonnen, dem Backpacker, das
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