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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles
Autoren: Betty McDonald
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jemandem, fuhr sich beim Sprechen mit den Händen durchs Haar und starrte verzweifelt auf die Berge von Telegrammen, Expreßbriefen und Luftpostsendungen, die sich auf seinem Schreibtisch dermaßen türmten, daß die Flut sich teilweise bereits auf den Boden ergoß.
    Auch in diesem Zimmer gingen die Fenster zum Sund, und es bot sich das gleiche wundervolle Bild von Bergen, Inseln und Nebelschleiern. In der Mitte des Raumes standen lange Tische, an denen ungefähr fünfzehn Leute saßen, junge und alte, Männer und Frauen, alle mit Papiermessern bewaffnet und mit Haufen ungeöffneter Briefe vor sich. Während sie die Briefe öffneten und aus den Kuverts nahmen, unterhielten sie sich.
    Ich erkundigte mich bei Miss Mellor, was in den Postsäcken enthalten sei. «Arbeitsbeschaffungs-Vereinbarungen», erklärte sie. «Es ist ein spezielles Programm des Präsidenten. Jeder Geschäfts- oder Fabrikbesitzer wird aufgefordert, eine solche Vereinbarung zu unterzeichnen. Damit verpflichtet er sich, seinen Büroangestellten einen Mindestlohn von vierzehn Dollar wöchentlich zu zahlen und die Arbeitsstunden auf vierzig pro Woche zu beschränken und seinen Fabrikarbeitern einen Mindestlohn von vierzig Cents bei fünfunddreißig Stunden pro Woche zu garantieren. Wer die Vereinbarung unterschreibt, erhält ein Abzeichen wie dieses.» Sie holte unter dem Wirrwarr auf Mr. Sheffields Schreibtisch ein Abzeichen von ungefähr zwölf auf achtzehn Zentimeter hervor. Arbeitsbeschaffungsprogramm stand rot darauf gedruckt, darunter hieß es in blau Mitglied, und unter einem kühn dreinblickenden Adler, der sich mit einem Bein auf eine Art Schild stützte, leuchteten die Worte Wir tragen unseren Teil bei . «Zufolge des Abkommens über das Arbeitsbeschaffungsprogramm vom 13. Juli werden Regierungsaufträge nur noch an Unternehmen erteilt, die das Adlerabzeichen haben.»
    Mr. Sheffield hatte sein Telefongespräch beendet und sah mich in Gedanken versunken an, ohne zu wissen, wer ich war.
    «Erinnern Sie sich nicht mehr an mich?» fragte ich. «Ich bin am Freitag die Treppe hinuntergefallen, und Sie haben mir eine Stellung angeboten.»
    «Ach ja, natürlich», sagte er hastig. «Betty Bard.» Das Telefon läutete wieder, und Miss Mellor lachte und meinte: «Das genügt. Er hat Sie immerhin erkannt. Kommen Sie, ich werde Ihnen Arbeit geben.»
    Sie führte mich zu einem Tisch, machte mich mit den Umsitzenden bekannt, drückte mir ein Papiermesser in die Hand, schob einen Postsack neben mich und überließ mich meiner Tätigkeit. Endlich hatte ich eine Beschäftigung gefunden, die meinen Fähigkeiten entsprach. Kuvert aufnehmen, aufschlitzen, Brief herausnehmen, auseinanderfalten, Kuvert aufnehmen, aufschlitzen, Brief herausnehmen, auseinanderfalten… Gegen elf Uhr schienen in meinen Schultern tausend Nadeln zu stecken, und in meiner rechten Hand hatte ich Muskelkrampf. Ich stand auf und ging hinaus auf die Toilette, um eine Zigarette zu rauchen und meine steifgewordenen Glieder zu strecken.
    Die Toilette hatte einen hellen Vorraum mit großen Fenstern zum Sund. Ein schmales junges Mädchen rauchte eine Zigarette und schaute auf die blau aus dem Nebel aufragenden Bergspitzen. Wir sahen einander verstohlen an, und dann fragte das Mädchen: «Arbeiten Sie auch für Mr. Sheffield?» Ich bejahte die Frage, und sie erzählte mir, daß sie ebenfalls bei Mr. Sheffield arbeite und an der Schreibmaschine säße.
    «Ich dachte, monotone Arbeit wäre das beste», gestand ich. «Aber ich habe es jetzt schon satt, und außerdem bin ich entsetzlich müde.»
    «Ich bin den dritten Tag hier», erwiderte sie, «und um fünf Uhr bin ich so kaputt, daß ich auf der Stelle umsinken könnte, aber ich sage mir: vier Dollar täglich, und so oft ich will, kann ich eine Zigarette rauchen gehen, das ist nicht zu verachten.»
    «Bekommen wir nur vier Dollar täglich?» fragte ich enttäuscht.
    «Nur? Ich finde das wunderbar. In meiner letzten Stellung mußte ich das ganze Büro für acht Dollar die Woche leiten. Und die vier Dollar sind doch nur vorübergehend. Sobald wir fest angestellt sind, bekommen wir entweder hundertundfünf oder hundertzwanzig Dollar im Monat. Können Sie Maschine schreiben?»
    «Natürlich. Stenographieren auch», entgegnete ich mutig.
    «Das würde ich dem Bürovorsteher aber sagen», riet sie mir. «Er teilt die Arbeit aus, und er braucht Leute, die tippen können. Haben Sie sich zum Mittagessen verabredet?»
    «Nein.»
    «Wir könnten vielleicht
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